Private Internetnutzung am Arbeitsplatz – Erlaubt der EGMR (Az. 61496/08) den Arbeitgebern wirklich das Lesen privater Nachrichten von Arbeitnehmern? Und wie ist eigentlich die Rechtslage in Deutschland? – Teil 2

Mitautor: Christian Frerix*

Im ersten Teil dieses Artikels wurde die Rechtslage in Deutschland erläutert. Danach dürfen Arbeitgeber private Inhalte ihrer Arbeitnehmer in der Regel nie lesen. Unabhängig davon können protokollierte Inhalte aber trotzdem zum Beweis vorgebracht werden. Das sind nämlich zwei verschiedene Paar Schuhe. Jetzt soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit sich durch die EGMR-Rechtsprechung etwas daran ändert.

Wenn es eine Regelung in Deutschland gibt, warum interessiert uns dann der EGMR?

Eine durchaus berechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass Urteile des EGMR erst einmal nur die Betroffenen binden. Aber: Der Europäische Menschengerichtshof (EGMR) konkretisiert durch die Urteile die Normen der (Europäischen Menschenrechtskonvention) EMRK. Die EMRK hat in Deutschland den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Das heißt, dass sie auch bei der Urteilsfindung durch deutsche Gerichte berücksichtigt und ausgelegt werden muss. Und zur europarechtskonformen Auslegung zählen nun einmal auch die Urteile des EGMR. Damit haben wir also eine mittelbare Wirkung des EGMR-Urteils auch in Deutschland und können es nicht einfach ignorieren.

Das Urteil des EGMR

Jetzt aber zum eigentlichen Stein des Anstoßes, das Urteil des EGMR mit dem Aktenzeichen 61496/08.  Wie erwähnt, nutzte der Mitarbeiter den Dienstcomputer während der Arbeitszeit dazu, um sich mit seiner Verlobten und seinem Bruder über die wichtigen Dinge des Lebens auszutauschen. Dabei ging es weniger um das Thema Arbeit als vielmehr um die Gesundheit und das Sexualleben. Es wurde munter über einen Messengerdienst gechattet, bei dem der Arbeitnehmer bereits mit einem privaten Account angemeldet war. Auf Verlangen des Arbeitgebers wurde zudem ein Dienst-Account bei besagtem Dienst eingerichtet, um auf diesem Wege Kundenanfragen zu beantworten. Ob der Arbeitnehmer diesen überhaupt nutzte, um Kundenanfragen zu beantworten, verrät uns die Urteilsbegründung nicht. Sicher ist nur, dass über den Dienst-Account  private Nachrichten verschickt wurden, obwohl dies ausdrücklich verboten und dieses Verbot dem Arbeitnehmer auch bekannt war. Ebenso bekannt war ihm die Warnung des Arbeitgebers, die Nutzung des Messengers zu überwachen. Gesagt, getan. Das Ergebnis waren eine einwöchige Überwachung sowie ein 45 Seiten umfassendes Chatprotokoll über die Nutzung des Messengers. Dieses beinhaltete sowohl über den Dienst-Account als auch über den privaten Account verschickte Nachrichten. Die daran anknüpfende Kündigung wollte der Arbeitnehmer nicht akzeptieren und klagte…und klagte…und klagte. Nach acht langen Jahren landete der Fall schließlich beim EGMR. Dieser hatte nun zu entscheiden, ob die – für den Arbeitnehmer stets ungünstige – Rechtsprechung der rumänischen Gerichte mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar ist.

Insbesondere ging es darum, ob die Chatprotokolle zur Urteilsfindung (und damit letztendlich zur Wirksamkeit der Kündigung) herangezogen werden durften. Der Arbeitnehmer sah sich dadurch in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Korrespondenz gem. Art. 8 EMRK verletzt. Dem stand das Recht des Arbeitgebers an der Einhaltung und Kontrolle der betrieblichen Vorschriften entgegen. Die Ausgangslage ist also vergleichbar mit der in Deutschland. Der Unterschied ist – unjuristisch gesprochen -, dass die geltend gemachten Rechte einen anderen Namen haben und in anderen Rechtsordnungen stehen. Nun ja, das Ende ist bekannt. Der EGMR billigte das Vorgehen der Gerichte und hielt die dort durchgeführte Rechteabwägung für vereinbar mit der EMRK. Im Ergebnis durften die privaten Chatinhalte also verwendet werden. Ist das jetzt aber tatsächlich ein Freifahrtschein für die Arbeitgeber in Deutschland zum Überwachen und Lesen privater Nachrichten der Arbeitnehmer?

Einerseits EGMR, andererseits die deutsche Rechtsprechung – Und nun?

Nach dem ausführlichen Vorspiel schauen wir nun darauf, ob der EGMR wirklich was ändern wollte oder ob die Aufregung doch eher den Besonderheiten des Einzelfalles geschuldet ist. Um den ungeduldigen Leser nicht zu sehr auf die Folter zu spannen: Der EGMR hat zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass Arbeitgeber die privaten Nachrichten der Mitarbeiter lesen und auswerten dürfen. Aus seinen Erwägungen ergibt sich nämlich, dass der Teufel – wie meistens – im Detail steckt.

Zunächst gilt das Urteil nämlich nur für die Fälle, in denen der Arbeitgeber die Nutzung des betroffenen Betriebsmittels verbietet. Dort, wo die private Nutzung geduldet oder erlaubt ist, ist eine Überwachung schon gar nicht ohne weiteres möglich (siehe hierzu Teil I des Artikels, bzw. hier den passenden Fachaufsatz). Nach Ansicht des EGMR durfte die Nutzung des Messengers überwacht und protokolliert werden, um das Verbot durchzusetzen und weil dieses sowie die Überwachungswarnung dem Arbeitnehmer auch bekannt waren. Unter diesen Bedingungen musste der Arbeitgeber auch nicht mit dem Auffinden privater Nachrichten rechnen. Bis jetzt gibt’s also keinen Unterschied zur deutschen Rechtslage.

Die springenden Punkte sind nun einerseits die Kenntnisnahme vom Inhalt der Chatverläufe durch den Arbeitgeber und andererseits die Verwertung dieser durch die Gerichte.

Zu ersterem stellt der EGMR klar, dass die Inhalte nicht den Kündigungsgrund darstellen. Auch, wenn die Protokolle private Inhalte enthielten, gehe es nämlich allein um die Tatsache, dass Betriebsmittel privat genutzt wurden. Und nur darauf stütze sich die Kündigung. Die Gesprächsinhalte spiel(t)en überhaupt keine Rolle. Darüber hinaus sei die Erlangung der Inhalte zur Beweisführung nach Ansicht des EGMR ebenso gerechtfertigt, da der Überwachungszeitraum begrenzt war und lediglich die Messengerdaten (und nicht andere auf diesem PC befindliche Dateien) überprüft wurden. Damit gilt also schon jetzt: Nein, der EGMR erlaubt grundsätzlich nicht das Lesen und Auswerten privater Kommunikationsinhalte.

Mit einer ähnlichen Begründung hält der EGMR auch die Verwendung der Protokolle durch die Gerichte für rechtmäßig. Hierzu führt er aus, dass diese die Protokolle lediglich in der Weise würdigen, als dass diese den Disziplinarverstoß beweisen. Der Inhalt hat keinen Eingang in die Entscheidungsgründe gefunden. Darüber hinaus stellt der EGMR fest, dass der Arbeitgeber zur Vorlage der Protokolle faktisch gezwungen war, zumal der Arbeitnehmer die private Nutzung bestritt. Angesichts des Umstandes, dass die private Nutzung eines Messenger-Dienst-Accounts anders schwer oder unmöglich nachgewiesen werden kann, überwiegen in diesem Fall die Rechte des Arbeitgebers. Zwar sei hier in die Rechte des Arbeitnehmers eingegriffen worden. Dies sei aber gerechtfertigt, da die Rechte des Arbeitgebers in diesem Fall schützenswerter seien.

Somit kommen wir zum zugegeben etwas verwirrenden Ergebnis: Überwachen? Ja, aber… Lesen? Grundsätzlich Nein, aber vielleicht im Einzelfall doch. Als Beweismittel verwerten? Ja. Klingt komisch, ist aber auch nach der deutschen Rechtsprechung so. Insoweit also alles beim Alten.

Was bedeutet das Urteil für Unternehmen?

Der Umgang mit der Nutzung betrieblicher Mittel ist ein breites Problemfeld, welches von Unternehmen unterschiedlich angegangen wird. Während in manchen Betrieben die private Nutzung während der Arbeitszeit erlaubt oder wenigstens toleriert wird (warum das regelungslose Erlauben oder gar schlichte Tolerieren aus Arbeitgebersicht keine gute Idee ist, haben wir hier, hier und hier erläutert), wird sie in anderen Unternehmen eingeschränkt oder gänzlich verboten. Aus der unterschiedlichen Behandlung ergeben sich – wie aufgezeigt – die unterschiedlichsten Rechte und Pflichten bzw. Problemstellungen für Arbeitnehmer und –geber.

Das Urteil gilt dagegen nur für den Fall, in dem jegliche Nutzung der betroffenen Betriebsmittel verboten wurde. Zur Durchsetzung des Verbots ist eine stichprobenartige Überwachung zulässig, um eine sich einschleichende Verbotslockerung und am Ende eine faktische Nutzungserlaubnis zu verhindern. Im Rahmen der Überwachung gilt der Grundsatz, dass diese so durchzuführen ist, dass die Rechte der Arbeitnehmer so gering wie möglich verletzt werden. Das heißt in diesem Fall: Sobald im Rahmen der Untersuchung private Inhalte zum Vorschein kommen (z.B. die Betreffzeile einer Mail, die auf einen privaten Inhalt verweist), dürfen diese nicht gelesen werden. Im besonderen Fall der Überprüfung von Chatverläufen, die mittels eines Dienst-Accounts durchgeführt werden, sollten jegliche Konversationen dienstlicher Natur sein. Ob dies tatsächlich der Fall ist, lässt sich vermutlich aber nur durch das Lesen vereinzelter Nachrichten herausfinden. Auch hier gilt aber: Nicht sämtliche Verläufe lesen. Es reicht das Wissen, dass es sich um private Nutzung handelt. Zur Beweiserbringung dürfen dagegen sämtliche Chatprotokolle vorgelegt werden. Deren Inhalt darf aber – bis auf einige Ausnahmen – nicht zur Grundlage etwaiger Rechtsfolgen (z.B. Kündigung) werden.

Fazit

Nein, Arbeitgeber dürfen auch weiterhin nicht ohne weiteres private Nachrichten mitlesen und auswerten. Und nein, der EGMR hat hier kein Urteil erlassen, das die deutsche Rechtswelt erschüttert. Vielmehr wurde hier ein Einzelfall nach Grundsätzen entschieden, die von der deutschen Rechtsprechung bereits in identischer Form ebenso angewandt werden. Dass die Abwägungsergebnisse dabei im Einzelfall durchaus divergieren können, liegt an dem jedem Mitgliedstaat eingeräumten Ermessensspielraum (margin of appreciation) in Abwägungsfragen. Jedenfalls erfreulich ist aber, dass ein supranationales Gericht zur Problematik im Umgang mit Social Media im Unternehmen Stellung bezogen und aufgezeigt hat, dass auch ein Nutzungsverbot nicht alle Probleme lösen kann. Unabhängig davon, ob Unternehmen an einem derartigen Verbot festhalten sollten (siehe dazu die abweichende Meinung des EGMR-Richters Albuquerque oder auch hier), ist eine ausführliche Regelung bspw. in Unternehmensrichtlinien in jedem Fall erforderlich. Und nein, eine DIN-A4-Seite mit 10 Do’s und Dont’s reicht dafür nicht. Wer’s nicht glaubt, dem- oder derjenigen sei an dieser Stelle noch einmal der zweite Teil des schon erwähnten Blogartikels ans Herz gelegt.

In diesem Sinne,

vielleicht doch noch mal drüber nachdenken, wie denn die Regelung im eigenen Betrieb so aussieht…

*Der Jurist Christian Frerix promoviert derzeit an der Universität Hamburg und war daneben bis November 2017 in der Anwaltskanzlei Diercks (vormals: im Hamburger Büro von Dirks & Diercks Rechtsanwälte) als Jurist tätig.

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