Mitautor: Christian Frerix*
Die Meinungsfreiheit hat in Deutschland eine „schlechthin konstituierende Bedeutung für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung“ – so staatstragend formuliert es jedenfalls das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 15.1.1958 – „Lüth“). Gemeint ist damit schlicht, dass der Meinungsfreiheit im (Rechts-)Leben ein sehr hoher Stellenwert beigemessen wird – was so verwunderlich nicht ist, handelt es sich doch um eines der Grundrechte. Und wenngleich die Meinung des Einzelnen im zweiten Jahrhundert vor Christus diesen Stellenwert wohl noch nicht hatte, so erkannte der römische Dichter Terenz schon damals: „Wie viele Leute, so viele Meinungen“. Geändert hat sich daran an sich nichts. Nur ist es heute dank Mobiltelefon, PC, Facebook & Co. wesentlich einfacher, seine Meinung in der ganzen Welt – oder wenigstens in der eigenen Filterblase -zu verbreiten. Dass diese Möglichkeit die Welt nicht nur besser werden lässt, lässt sich unter nahezu jedem Facebook-Posting der Tagesschau oder von DER SPIEGEL beobachten.
Doch ob eine Meinung in Stein gemeißelt oder über Twitter kundgetan wird, spielt keine Rolle. Denn Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleistet jedem das Recht, eine Meinung zu haben und diese in Wort, Schrift und Bild auch frei zu äußern und zu verbreiten. Und dieses Recht steht jedem zu. Folglich gibt auch kein Arbeitnehmer das Recht auf Meinungsfreiheit an der Bürotür oder dem Werkstor ab. Die Meinungsfreiheit gilt auch in Arbeitsverhältnissen, gleich ob während oder außerhalb der Arbeitszeit. Es gilt also: Jede/r kann seine/ihre Meinung grundsätzlich immer und überall zum Besten geben.
Doch was tun, wenn Mitarbeiter sich auf eine Art und Weise äußern, die dem Unternehmen Schaden zufügt? Mit dieser Fragestellung beschäftigte ich mich bereits zusammen mit Andreas Schöning (Geschäftsführer der unter anderem auf HR-Kommunikation spezialisierten Agentur markenfrische) in der Session #hrgegenrechts auf dem diesjährigen HR BarCamp in Berlin. Intensiv diskutierten wir zusammen mit den Teilnehmern sowohl aus juristischer als auch (krisen-)kommunikativer Sicht, wie Unternehmen mit derartigen Fällen umgehen könnten.
Einen solchen Konjunktiv konnte sich das Arbeitsgericht Mannheim (Urteil vom 19.2.2016 – Az. 6 Ca 190/15) nicht leisten. Es hatte exakt über einen solchen Fall zu entscheiden. Und so nehmen wir hier dieses Urteil zum Anlass, um die Grenzen von Meinungsäußerungen im Arbeitsverhältnis und die Voraussetzungen einer Kündigung wegen unzulässiger Meinungsäußerung (im Social Web) dem Grunde nach aufzuzeigen.
Der Fall des Arbeitsgerichts Mannheim – Was war passiert?
Ein bei der „Deutschen Bahn“ angestellter Lokführer hatte über sein Facebook-Nutzerkonto ein Bild geteilt, das das Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz inklusive der Tor-Überschrift „Arbeit macht frei“ zeigte. Unter diesem Bild befand sich ein kurzer Text in polnischer Sprache, den der Lokführer auf Nachfrage eines Users mit den Worten „Polen ist bereit für die Flüchtlingsaufnahme“ übersetzte. Sollte witzig sein, war es aber offensichtlich nicht. Denn obwohl das Nutzerkonto unter einem Pseudonym geführt wurde, ließ sich aus den Profilangaben sowie Bildern, die den Arbeitnehmer in Arbeitskleidung vor einem Triebwagen zeigten, ein Bezug zur Arbeitgeberin herstellen. Auch diese fand den Post ganz und gar nicht witzig, zumal sie auf verschiedene Weisen großes Engagement in der Flüchtlingsfrage zeigt. Es folgte also die fristlose (außerordentliche), hilfsweise die ordentliche Kündigung. Vor dem Arbeitsgericht stritten die Parteien nun über die Wirksamkeit dieser Kündigung(en). Dort betonte die Arbeitgeberin, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Widerspruch zu den Konzerngrundsätzen und zum Engagement des Unternehmens in der Flüchtlingsfrage stehen. Vor diesem Hintergrund fiel das Ergebnis dieses Rechtsstreits – jedenfalls für den Laien – überraschend aus: Weil der Arbeitnehmer bereits vor der Kündigung das Bild gelöscht und sich für das Verhalten entschuldigt hatte, ist sowohl die außer-, als auch die ordentliche Kündigung unwirksam. Die Arbeitgeberin muss den Lokführer damit trotz der Verbreitung menschenverachtender Äußerungen weiterbeschäftigen. Wie ist das möglich? Fangen wir bei der Suche nach der Antwort einmal von vorne an:
Wann und wie kann ein Arbeitgeber überhaupt kündigen?
Soll das Arbeitsverhältnis einseitig beendet werden, so normiert das Gesetz mit der Kündigung das dafür vorgesehene Mittel (§ 622 BGB). Damit dieses wirksam wird, muss grundsätzlich eine Frist eingehalten werden. Hält sich die kündigende Partei daran, so erfolgt die Kündigung „ordentlich“ (daher der Name „ordentliche Kündigung“).
Einen Kündigungsgrund sieht § 622 BGB nicht vor. Beschäftigt ein Betrieb jedoch mehr als 5 bzw. 10 Mitarbeiter, greift das Kündigungsschutzgesetz. Und hier gilt die Kündigung als sozial ungerechtfertigt, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate ohne Unterbrechung bestand und den Arbeitgeber weder ein verhaltens- oder personenbedingter noch ein betriebsbedingter Grund zur Kündigung veranlasste (vgl. § 1 KSchG) – kurz: Es braucht in der Regel doch einen Kündigungsgrund.
Die außerordentliche Kündigung unterscheidet sich von der ordentlichen dem Grunde nach dadurch, dass auf die Einhaltung einer Frist verzichtet wird. Sie wird sofort wirksam. Von diesem Grundsatz gibt es natürlich Ausnahmen, die hier allerdings vernachlässigt werden können (z.B. die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist). Da dem Empfänger der außerordentlichen Kündigung keine Zeit bleibt, sich auf das Ende des Arbeitsverhältnisses einzustellen und er insoweit vor „vollendete Tatsachen“ gestellt wird, knüpft der Gesetzgeber daran bestimmte und enge Voraussetzungen. So kann gemäß § 626 Absatz 1 BGB außerordentlich immer nur dann gekündigt werden, wenn ein „wichtiger Grund“ besteht. Das ist dann der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Damit die gesetzlich vorgegebene Einhaltung einer Frist nicht einfach so umgangen werden kann, ist also in zwei Schritten zu prüfen, ob die Sachlage „an sich“ als wichtiger Grund geeignet ist und anschließend, ob eine Abwägung im Einzelfall ergibt, dass dem Kündigenden das Warten auf den Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist (BAG, Urteil vom 26.3.2015 – Az. 2 AZR 517/14). Wann ein „wichtiger Grund“ besteht, regelt der Gesetzgeber nicht detailliert. In Übereinstimmung mit dem KSchG (siehe oben) nimmt die Rechtsprechungspraxis aber eine grobe Kategorisierung in betriebsbedingte (z.B. Insolvenz), personenbezogene (z.B. Krankheit oder Freiheitsstrafe) und verhaltensbedingte Gründe vor.
Eine Meinungsäußerung als Kündigungsgrund?!
Die verhaltensbedingten Gründe zielen – man ahnt es – auf das Verhalten des Arbeitnehmers ab und beinhalten diejenigen Fälle, in denen der Arbeitnehmer sich auf Grund der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten (zum Beispiel Nichtvornahme der Arbeitsleistung, Internetnutzung trotz Verbotes etc.) „daneben benimmt“. In diese Kategorie fallen auch unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers, so dass diese grundsätzlich einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen können.
Da aber nicht jede unliebsame Äußerung zur Kündigung führen darf, halten wir fest, dass eine (außerordentliche und in den meisten Fällen auch ordentliche) Kündigung aufgrund von Meinungsäußerungen nur dann in Betracht kommt, wenn dadurch vertragliche Pflichten verletzt werden und dem Arbeitgeber deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (gegebenenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist) nicht mehr zugemutet werden kann. Doch wann ist das der Fall?
Die Meinungsfreiheit und ihre Grenze
Grundsätzlich stehen alle Meinungen unter dem Schutz des Artikels 5 GG. Aber es handelt sich natürlich nicht um ein grenzenloses Recht. Weder ist es zulässig dem Kollegen in der Kantine „Sie Arschloch!“ entgegen zu schreien noch den Vorstand als „Sklaventreiber im Tesla“ zu titulieren. Zwei Beispiele, die wohl jedem einleuchten. Schließlich wird hier die persönliche Ehre der Beteiligten angegriffen. Ebenso wenig muss ein Arbeitgeber dulden, dass ein Mitarbeiter tönt, man dürfe „in dem Laden noch nicht mal regulär Pause machen“, wenn dies nachweislich nicht stimmt. Es handelt sich dann nämlich um eine sogenannte unwahre Tatsachenbehauptung. Im Unterschied zur Meinung ist eine Tatsachenbehauptung dem Beweis zugänglich.
Anders ausgedrückt: Die Verbreitung von Lügen (unwahre Tatsachenbehauptungen), gezielten Schlecht- und Verächtlichmachungen (Schmähkritik) oder sonstigen Herabwürdigungen muss ein Arbeitgeber genauso wenig wie andere dulden. Der Arbeitnehmer kann sich in diesen Fällen nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. So weit so klar.
Doch gerade in Arbeitsverhältnissen ist noch eine weitere Norm zu berücksichtigen, der hier große Bedeutung zukommt. Es handelt sich um § 241 Absatz 2 BGB. Dort wird die gegenseitige Pflicht beider Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Interessen des jeweils anderen Teils geregelt. Für den Arbeitnehmer bedeutet das, dass dieser seine Arbeit so zu erledigen und die Interessen des Arbeitgebers derart zu berücksichtigen hat, wie dies auf Grund der Umstände von ihm erwartet werden kann (BAG, Urteil vom 18.12.2014 – 2 AZR 265/14.) – das Ganze wird auch Treue- und Loyalitätspflicht genannt. Bei der Bestimmung der Reichweite dieser Pflicht muss die Bedeutung der Meinungsfreiheit wiederum berücksichtigt werden. Dies führt dazu, dass nicht entweder die Meinungsfreiheit oder die Rücksichtnahmepflicht überwiegt, sondern dass zwischen beiden eine Wechselwirkung entsteht; sie sich also ergänzen.
Mit anderen Worten: Auch im Arbeitsverhältnis darf der Mitarbeiter sagen was er will, solange der Arbeitnehmer mit seiner Meinungskundgabe auch auf die Interessen des Arbeitgebers Rücksicht nimmt. Tut er dies nicht, verletzt er eine arbeitsvertragliche (Neben-) Pflicht.
Bah! Was heißt denn das jetzt? Wann wird eine Äußerung zum Kündigungsgrund?
Zuviel Juristenkauderwelsch. Ich sehe es ein. Okay. Also noch einmal anders: Die Äußerung des Arbeitnehmers muss eine arbeitsvertragliche Pflicht verletzen, damit hieraus ein Kündigungsgrund werden kann. Eine Pflichtverletzung liegt immer dann vor, wenn sich die Äußerung für den Arbeitgeber ruf- oder geschäftsschädigend auswirkt. Dazu ein einfaches Beispiel: Die unbefugte Veröffentlichung eines Release-Datums kann für den Arbeitgeber absolut geschäftsschädigend sein. Und zwar selbst dann, wenn die Äußerung der Wahrheit entspricht (wahre Tatsachenbehauptung). Das Interesse des Arbeitgebers an der Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen schränkt hier in zulässigerweise die Meinungsäußerungsfreiheit in diesem Fall ein.
Ebenso schädigend kann eine Äußerung sein, die sich gegen betriebliche Werte, Moralvorstellungen oder politische Anschauungen richtet, zu deren Einhaltung sich der Arbeitgeber verschrieben hat. Obwohl auch derartige Äußerungen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen und vom Arbeitnehmer grundsätzlich geäußert werden können, kann damit ein Verstoß gegen Loyalitätspflichten einhergehen. Gerade im öffentlichen Dienst müssen sich Arbeitnehmer sowohl am Arbeitsplatz als auch darüber hinaus durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen (§ 8 Bundesangestelltentarifvertrag). Aber natürlich können sich auch rechts- oder linksradikale Äußerungen eines „normalen“ Arbeitnehmers negativ auf den Ruf des Arbeitgebers auswirken. Zu berücksichtigen sind natürlich auch immer Stellung und Position des Arbeitnehmers im Unternehmen – die Worte eines stets nach außen wirkenden Vertriebsmitarbeiters oder Marketing-Leiters können natürlich ein anderes „Gewicht“ im Verhältnis zum Unternehmen haben als das eines einfachen Sachbearbeiters.
Wieder einmal lange Rede, kurzer Sinn: Selbstverständlich auch rassistische und menschenverachtende Äußerungen eines Mitarbeiters eine Ruf- und Geschäftsschädigung herbeiführen. Und damit kann in einer solchen Äußerung eine Verletzung der Treuepflichten liegen, die einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen kann.
Dann hilft es dem Arbeitnehmer auch nicht, wenn er sich – wie im vorliegenden Fall – darauf beruft, dass es sich bei der Veröffentlichung um Satire handele, weil er das Bild einer „polnischen Witzseite“ entnommen habe. Das Gericht hat zutreffend klargestellt, dass allein schon die vom geschichtlichen Kontext losgelöste Verwendung des Symbols oder des Satzes „Arbeit macht frei“ in Deutschland tabuüberschreitend ist und der satirische Charakter nicht offensichtlich erkennbar ist. Deswegen wurde im vorliegenden Fall des Arbeitsgerichts Mannheims eine Pflichtverletzung durch die Äußerung bejaht. (Was? Wurde oben nicht gesagt, die Kündigung sei für unwirksam erklärt worden?! – Ja, ja, es geht ja noch weiter. Wir sind noch nicht am Ende …)
[Kritik am Arbeitgeber stellt per se übrigens keine Pflichtverletzung dar; auch dann nicht, wenn die Kritik öffentlich erfolgt. Es besteht nämlich keine arbeitsvertragliche Pflicht, alle Umstände kritiklos hinzunehmen (das wäre ja auch noch schöner!). Da auch die Äußerung von Kritik in einem angemessenen Rahmen zu erfolgen hat, gilt das eben Geschriebene aber natürlich nur solange, wie sich sachlich mit den betrieblichen Verhältnissen auseinandergesetzt wird (BAG, Urteil vom 31.7.2014 – 2 AZR 505/13). Ist das der Fall, schadet auch eine scharfe oder überzogen geäußerte Kritik nicht (BVerfG, Beschluss vom 28. 11. 2011 – 1 BvR 917/09).]
Herstellung eines Bezuges zum Arbeitgeber (Betriebsbezogenheit der Äußerung)
Weiter muss die Äußerung einen Bezug zum Arbeitgeber erkennen lassen. Denn eine Äußerung kann sich für den Arbeitgeber überhaupt nur dann ruf- und geschäftsschädigend auswirken, wenn sie mit ihm in Verbindung gebracht werden kann. Das ist im Hinblick auf die Verbreitung über ein soziales Netzwerk dann der Fall, wenn Arbeitnehmer über ihren Account (im obigen Sinne pflichtverletzende) Beiträge posten und der Arbeitgeber erkennbar ist. Das muss nicht heißen, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber ausdrücklich im Profil angegeben hat. Und auch nicht, dass der Arbeitgeber im Posting direkt genannt wird. Der Bezug zum Arbeitsverhältnis kann sich auch aus der weiteren Einbeziehung des Profils, älterer Postings, etwaiger Fotos oder sonstiger „Hinweise“ ergeben.
Äußerungen im vertraulichen Umfeld
Eine Pflichtverletzung scheidet auch aus , wenn die Äußerung in einem vertraulichen Umfeld getätigt wurde. Schließlich muss der Arbeitnehmer nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber von einer Aussage Wind bekommt, die beispielsweise unter Freunden (auch wenn ein Kollege dabei ist) bei einem Feierabendbier getroffen wurde. Hintergrund dessen ist nämlich, dass es grundsätzlich Sache des Arbeitnehmers ist, was dieser in seinem privaten Umfeld erzählt. Was im echten Leben einfach und logisch klingt, ist im virtuellen Leben nicht ganz so klar. Denn wann ist eine Äußerung privater Natur, wenn sie übers Netz erfolgt? Geht das überhaupt? Schließlich muss immer damit gerechnet werden, dass auch ein Beitrag, der nur im Freundeskreis sichtbar ist, (weiter-) veröffentlicht wird.
Nun, hier folgt die Juristenantwort: Es kommt darauf an. Das Arbeitsgericht Hagen (ArbG Hagen, Urteil vom 16.5.2012 – 3 Ca 2597/11) konnte jedenfalls bei einem Facebook-Freundeskreis, der zu mehr als 50 Prozent aus Arbeitskollegen bestand, keinen vertraulichen privaten Charakter der Äußerung, bzw. des Umfelds, mehr erkennen. Vielmehr sei die Äußerung „quasi betriebsöffentlich und mit einem Aushang am Schwarzen Brett vergleichbar“.
Zusammenfassend muss also dem immer noch weit verbreiteten Irrglauben entgegengetreten werden, dass Äußerungen auf Facebook, auch wenn Sie nur unter „Freunden“ getätigt wurden, stets privater Natur seien. Und das ist erst recht nicht so, wenn von den „Freunden“ eine beträchtliche Anzahl selbst im Unternehmen arbeitet.
Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund genügt nicht – Die Interessenabwägung
Das Bestehen eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes allein reicht für die Wirksamkeit einer Kündigung noch nicht aus. In einem weiteren Schritt ist nämlich noch zu schauen, ob dem Arbeitgeber nicht trotz des Vertragsverstoßes die weitere Zusammenarbeit oder wenigstens das Abwarten der Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Um das herauszufinden, sind immer die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Aus diesen könnte sich nämlich ergeben, dass die Kündigung eben doch nicht verhältnismäßig und damit das richtige Mittel ist. Berücksichtigt werden muss dabei zum Beispiel auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Verhalten vor und nach dem Fehltritt, gegebenenfalls weitere Verfehlungen, etwaige Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers etc.
Und aus diesem Grund waren auch die ausgesprochenen Kündigungen im Fall des Lokführers nicht wirksam. Denn obwohl eine Pflichtverletzung vorlag, sah das Gericht eine sofortige Kündigung als nicht gerechtfertigt an. Begründet wurde dies auch mit der sofortigen Löschung des Beitrages und der unmittelbaren Entschuldigung beim Arbeitgeber. Eine fristgemäße Kündigung lehnte das Gericht dagegen ab, da der Arbeitnehmer durch sein „Nachtatverhalten“ deutlich gemacht hatte, dass derartige Pflichtverletzungen von ihm in Zukunft nicht zu erwarten seien. Dieses Ziel hätte hier laut Gericht auch mit der Abmahnung als – gegenüber der Kündigung – milderem Mittel erreicht werden können. Die Abmahnung ist nämlich nichts anderes als die Aufforderung, ein gerügtes Verhalten unter Androhung der Kündigung in Zukunft zu unterlassen. Eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung sei in diesem Fall also zu „hart“ (siehe zum Erfordernis einer Abmahnung auch diesen Blogbeitrag).
Unabhängig davon, ob man die durch das Gericht in diesem Fall vorgenommene Interessenabwägung nun teilen mag oder oder nicht, müssen die gegenseitigen Interessenspositionen vor dem Ausspruch einer Kündigung immer gegeneinander abgewogen werden. Erst, wenn die Abwägung (des Gerichts *hüstel) ergibt, dass das Abwarten der Frist oder die weitere Zusammenarbeit dem Arbeitgeber nicht zuzumuten ist, ist die Kündigung rechtmäßig.
Und das Ende vom Lied?
Viele Leute mit vielen Meinungen müssen auch in der Arbeitswelt unter einen Hut gebracht werden. So weit, so gut. Schlägt der Arbeitnehmer aber über die Stränge, weil er eine den Arbeitgeber schädigende Äußerung tätigt, dann ist das eine Pflichtverletzung, die eine Kündigung oder Abmahnung nach sich ziehen kann. Letztendlich verhält es sich allerdings so, dass das Kind für alle Beteiligten bereits tief in den Brunnen gefallen ist, wenn die Äußerungen ihren Weg in die sozialen Netze, die (fristlose) Kündigung den Weg zum Arbeitnehmer und Arbeitgeber wie Arbeitnehmer den Weg vor das Arbeitsgericht gefunden haben.
Unternehmen sollten sich von daher vielmehr proaktiv und aus ureigenem Interesse die Frage stellen, ob und wenn ja wie sie dafür Sorge tragen können, dass Mitarbeiter von sich aus keine unüberlegten Inhalte posten. Und Unternehmen sollten im Vorwege Krisenkonzepte (in kommunikativer wie juristischer Hinsicht) für den Fall, dass sich Mitarbeiter ruf- und/oder geschäftsschädigend im Netz verhalten, in der Schublade liegen haben. Denn abgesehen davon, dass ein Gericht im Rahmen einer Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis als das Unternehmen kommen kann, ist auch nicht jede Äußerung eines Mitarbeiters klar äußerungsrechtlich bedenklich, möglicherweise aber dennoch geschäftsschädigend.
Doch zu diesen Graubereichen und präventiven Akten ein anderes Mal. Sie haben sich jetzt schließlich schon durch gute 2.600 Wörter gerungen. Und ich muss – ehrlich gesagt – dringend einmal in den Urlaub (Hurra!).
In diesem Sinne,
wir lesen uns frisch im September.
**Der Jurist Christian Frerix promoviert derzeit an der Universität Hamburg und war daneben bis November 2017 in der Anwaltskanzlei Diercks (vormals: im Hamburger Büro von Dirks & Diercks Rechtsanwälte) als Jurist tätig.
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