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Gut zu wissen: Wem gehören eigentlich XING-Kontakte und Social Media Accounts? – Oder: Der Herausgabeanspruch des Arbeitgebers

Mit dem Blogbeitrag „Hört, hört! Ein Geschäftsgeheimnis! – Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg zu XING-Kontakten von Arbeitnehmern (Az. 29 Ga 2/13)“ erkannten wir, dass der gesunde Menschenverstand und Gerichtsentscheidungen manchmal doch im Gleichlauf verbunden sind. Denn nach diesem wie auch jenem können Geschäftskontakte – selbst wenn sie über virtuelle Plattformen wie XING organisiert sind – Geschäftsgeheimnisse darstellen. In dem konkreten Fall hatte das Arbeitsgericht Hamburg den in dem XING-Profil einer Angestellten gespeicherten Kontakten die Eigenschaft eines Geschäftsgeheimnisses abgesprochen, da die Kontakte und deren Speicherung im XING-Profil nach Auffassung des Gerichts nicht geschäftlich veranlasst gewesen seien. Eine geschäftliche Veranlassung wäre – so das ArbG Hamburg – nur dann zu erkennen, wenn die Kontaktaufnahmen im Zusammenhang mit der von der Beklagten ihrem Arbeitgeber geschuldeten arbeitsvertraglichen Tätigkeit gestanden  und die Kontaktpartner bei der Kontaktaufnahme für ihren jeweiligen Arbeitgeber gehandelt hätten.

I. „Geschäftlich veranlasste“ XING-Kontakte

So weit so gut. Was aber, wenn die Kontakte im Rahmen der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit entstanden sind und eben geschäftlich veranlasst waren? Das ist in der Regel bei dem klassischen Vertriebsmitarbeiter der Fall. Der Vertriebler – und damit das ganze Unternehmen – lebt von den Kontakten, die dieser akquiriert, hegt, pflegt und mit denen er – so hoffentlich früher oder später – Abschlüsse tätigt. Die Kontakte eines Vertrieblers sind für das Unternehmen, bei dem er angestellt ist, naturgemäß außerordentlich wertvoll. Deswegen ist das folgende – bereits im letzten Artikel aufgezeigte – Szenario für Unternehmen auch ein schreckliches: Der Vertriebsmitarbeiter V geht nach 15 Jahre Betriebszugehörigkeit. Er hinterlässt keinen einzigen Kontakt und insbesondere keine Informationen wie „Kunde K hat zwei Töchter – gerne danach fragen“ oder „Partner P mag keine Kinder, liebt aber die Jagd und seinen Jagdhund“ – Informationen, die so unwichtig scheinen, aber den Vertriebserfolg maßgeblich beeinflussen können. Sein Nachfolger muss bei Null anfangen.

1. Der Herausgabeanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer

Auch hier flüstert der gesunde Menschenverstand, dass das vorstehend skizzierte Szenario irgendwie nicht richtig erscheint. So sieht es auch das Gesetz. Nach §§ 675, 667 BGB ist nämlich der Arbeitnehmer im Rahmen des sogenannten Geschäftsbesorgungsvertrages verpflichtet, dem Arbeitgeber alles herauszugeben, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat. „Aus der Geschäftsbesorgung erlangt“ meint nach der Rechtsprechung  des BGH „jeden Vorteil, den der Beauftragte im inneren Zusammenhang mit der Führung des Geschäftes, nicht nur bei der Gelegenheit, erhält.“

Weniger juristisch verdreht würde man sagen: Herauszugeben ist all das, was man im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses aufgrund eben dieses Arbeitsverhältnisses erhält. An den Arbeitgeber herauszugeben wäre beispielsweise ein vertrauliches Dokument des Geschäftspartners, das dem Angestellten zur Ausführung des gemeinsamen Projektes im Rahmen eines Meetings übergeben wurde. Nicht herauszugeben wäre ein Snickers, das zusammen mit dem Dokument übergeben wurde. Denn ganz augenscheinlich wurde das nur bei Gelegenheit übergeben und hatte mit der Arbeit nichts zu tun. (Puhh. Was’n Glück – denken jetzt all die Verfressenen dort draußen ;-).

2. Die Herausgabe von (virtuellen) Geschäftskontaktdaten

Nach dem Vorstehenden sind auch Geschäftskontakte, die im Rahmen der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit entstanden sind und die geschäftlich veranlasst waren, an den Arbeitgeber herauszugeben.

Wir denken uns einmal schnell knapp 15 Jahre zurück und stellen uns vor, dass der Arbeitnehmer seine Kontaktdaten von Geschäftspartnern noch im Rolodex (wer erinnert sich?) auf dem Schreibtisch organisiert. Das eben dieser Rolodex auf dem Schreibtisch stehen zu bleiben hätte, wenn Mitarbeiter V geht, leuchtet ein. Es handelt sich um Unternehmensdaten und mit denen muss der nächste schließlich auch arbeiten können.

Gleiches gilt, wenn die Daten zwar virtuell, aber mit einem unternehmensinternen System verwaltet werden. Die Daten bleiben beim Unternehmen.

Doch was, wenn die Daten virtuell über einen externen Anbieter wie eben XING verwaltet werden? In diesem Fall mehren sich die zu umschiffenden Klippen.

a. Wem gehört der Account bzw. wem gehören die Kontaktdaten?

Zunächst ist nicht klar, wem der Account und die darin befindlichen Daten gehören. Dabei sind dienstliche und private Accounts unterschiedlich zu behandeln. Handelt es sich um einen dienstlichen Account, dann kann der Arbeitgeber die Herausgabe des ganzen Accounts verlangen. Handelt es sich um einen rein privaten Account, dann ist der Arbeitnehmer allenfalls verpflichtet, die Informationen, die bei ordnungsgemäßer Organisation für die  weitere Tätigkeit des Arbeitgebers notwendig sind, dem ehemaligen Arbeitgeber zur Verfügung stellen – also etwa die Vertriebskontakte und die dazugehörige über die Plattform abgewickelte Korrespondenz – alle weiteren Daten unterliegen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers.

Doch wann ist ein XING-Account privat, wann dienstlich? Der geschätzte Kollege Dr. Ulbricht hat zur Bestimmung dessen fünf maßgebliche Parameter aufgestellt:

– Wer zahlt?
– Unter welchem Namen wird der Account geführt?
– Welche Email-Adresse ist die Kontaktadressse des Accounts?
– Welche Adresse ist im Profil angegeben?
– Welchen Charakter hat das XING-Profil in der Gesamtbetrachtung?

Mit diesen Parametern lässt sich durchaus bestimmen, ob ein dienstlicher oder privater Account vorliegt. Doch außer bei den speziellen Recruiter-Zugängen (die auch ein Häufchen Geld kosten) wird es sich im realen Leben in der Regel bei XING & Consorten um privat angelegte Accounts handeln, so dass die Antwort meistens lautet: Es handelt sich um einen privaten Account, mit dem dienstliche Kontakte verwaltet werden. Doch mit der Beantwortung der Frage, ob ein privater oder dienstlicher Account oder  die eben beschriebene Mischform vorliegt, ist für die betroffenen Unternehmen noch nicht viel gewonnen.

b. Die Durchsetzung des Herausgabeanspruchs

In der Regel wird nämlich die Mischform vorliegen (privater Account, mit dem dienstliche Kontakte verwaltet werden). Dem Unternehmen bleibt hier zwar nach wie vor der Herausgabeanspruch bezüglich der oben benannten Daten wie den Vertriebskontakten und der zugehörigen Korrespondenz. Doch zwischen Recht haben und Recht bekommen liegt oft ein kleiner Unterschied. Trennen sich Mitarbeiter und Unternehmen im Streit und hat der Mitarbeiter die Daten ausschließlich über seinen virtuellen externen Account verwaltet, dann bleibt dem Arbeitgeber im Falle der Weigerung der Herausgabe nur der Klagweg.

Dass dieser Weg mit steinigen Hindernissen gepflastert ist, dürfte auf der Hand liegen. Das Unternehmen weiß im Zweifel gerade nicht, über welche Kontakte der Mitarbeiter verfügt. Es müsste zumindest nachweisen, dass der Mitarbeiter geschäftsrelevante Kontakte innerhalb der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit gewonnen und verwaltet hat, um überhaupt den Mitarbeiter in eine sekundäre Darlegungslast bezüglich seiner Kontakte zu drängen. Oder er müsste einen Auskunftsanspruch, der hier §§ 242, 259 iVm mit dem Arbeitsvertrag entspringen würde, durchsetzen können müssen. Anders ausgedrückt: Der Mitarbeiter müsste überhaupt gezwungen werden können, Auskunft über sein virtuellen Adressbuch zu geben, damit ein Gericht dann über die Herausgabe dieser Daten befinden könnte. Rechtsprechung gibt es zu diesen Fragestellungen noch nicht. Die hier im Blog besprochene Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg ist bislang die einzige zu diesem Themenkreis ergangene Entscheidung – jedenfalls nach Kenntnis der Autorin.

Kurz zusammengefasst: Die Erfolgsaussichten der Geltendmachung eines solchen Herausgabeanspruchs sind theoretisch gut, faktisch eher vage.

II. Die Problematik bei Social Media Accounts

Die gleiche Problematik stellt sich bei Social Media Accounts wie „firmeneigenen“ Facebook-, GooglePlus- oder Twitter-Accounts. Je nach Strukturierung innerhalb des Unternehmens liegen diese in den Händen von Social Media Managern oder extern bei Agenturen.

Nun stellen wir uns hier vor, dass ein Unternehmen über Jahre mühsam und mit Erfolg die Social Media Kommunikation über einen oder mehrere Kanäle aufgebaut hat. Einer der Verantwortlichen (einer mit Administratoren-Rechten an den Accounts) geht. Er geht im Groll und weigert sich die Zugänge (Passwörter) herauszugeben oder ändert diese ab, so dass keiner im Team mehr Zugriff auf die Profile hat. Der Reputationsschaden kann immens sein. Die Arbeit von Jahren zerstört werden -erst Recht, wenn sich der Mitarbeiter zu reputationsschädigenden Äußerungen hinreißen lässt.

Auch hier würde der oben erwähnte Anspruch auf Herausgabe der Account-Daten dem Grunde nach greifen. Schließlich sind auch die Zugangsdaten im Rahmen der Tätigkeit des Mitarbeiters von diesem erlangt worden. Und natürlich muss sich der (Ex-)Mitarbeiter auch im Rahmen der allgemeinen Vorschriften für seine Äußerungen verantworten. Doch gleich wie – das Kind ist hier dann bereits in den Brunnen gefallen.

Gleiches gilt in dem Falle, in dem Agenturen mit dem Aufsetzen und der Betreuung der Accounts betraut sind. Auch diese können über die (hoffentlich!) vorhanden Verträge und die daraus resultierenden Rechtsverpflichtungen in Anspruch genommen werden. Diese Inanspruchnahmen sind jedoch mit den selben Problemen und dem in den Brunnen gefallenen Kind behaftet.

Die Beratungspraxis zeigt, dass das Problembewusstsein bezüglich derartiger Fälle noch sehr gering ist. Nur in den allerwenigsten Fällen sind bereits Regelungen mit den Mitarbeitern und/oder externen Agenturen zu diesen Fragestellungen getroffen worden. Das mag auch daran liegen, dass die Social Media Kommunikation eines Unternehmens oftmals durch einen oder eine handvoll Mitarbeiter erst einmal angefangen wird („Wir machen jetzt mal!“), um dann mit ersten positiven Ergebnissen vor die Geschäftsleitung treten zu können.

Entscheidungen deutscher Gerichte zur Herausgabe von Social Media Accounts existieren nach Kenntnis der Autorin noch nicht. Aber ebenso wie es schlicht seine Zeit dauerte, bis die ersten Fragen bezüglich der Äußerungen in sozialen Netzwerken oder aber eben die im letzten Artikel aufgeworfene Frage nach den XING-Accounts die Gerichte erreichten, wird es auch hier nur eine Frage der Zeit sein, wann es so weit ist. (Für all diejenigen, die wieder nur an die Schwarzseherei der Anwälte glauben: Der oben erwähnte Artikel vom Kollegen Ulbricht stammt aus dem Jahr 2010. Das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg aus Januar 2013. Just FYI).

III. Und jetzt? – Lösungsansätze

Die schlechte Nachricht gleich einmal vorweg: Eine Lösung, mit der eines der hier dargestellten Szenarien 100%ig nicht enstehen wird, gibt es nicht. Aber es gibt Möglichkeiten, das Risiko solcher Szenarien ganz erheblich zu senken.

In Bezug auf die virtuellen Vertriebskontakte kann z.B. die Regelung getroffen werden, dass die (geschäftlichen) Kontakte zeitgleich immer auch unternehmensinternen Systemen gespeichert werden müssen. Ein Verstoß gegen diese Regelung ist dann ein klarer Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, denen mit den arbeitsrechtlichen Sanktionsinstrumentarium im Fall der Fälle begegnet werden kann.

Auch hinsichtlich der Social Media Accounts können klare Regelungen getroffen werden, wie diese zu verwalten sind und wo ggf. Zugangsdaten zu hinterlegen sind.

Ob solche Regelungen einzelvertraglich, über verbindliche Unternehmensrichtlinien oder aber über Betriebsvereinbarungen getroffen werden sollten, ist eine Frage des einzelnen Unternehmens und dessen interner Strukturierung.

Auch wenn hier jetzt die harten arbeitsrechtlichen Folgen angerissen wurden, die solche Regelungen haben können, dienen solche Regelungen in erster Linie der Sensibilisierung, der Aufklärung und der Führung der Mitarbeiter. Solche Regelungen soll(t)en zum Ziel haben, den Mitarbeitern auf der einen Seite eine sichere Bewegungsfreiheit in der unternehmerischen digitalen Kommunikation zu ermöglichen, auf der anderen Seite aber auch dem Unternehmen Handlungssicherheit hinsichtlich ihrer Unternehmensinteressen zu gewährleisten. Kurz: Derartige Regelungen sollen Streit und vor allem (teure und zeitintensive) gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden helfen.

IV. Ist das alles?

Die Lösungsvorschläge klingen einfach und überschaubar. Das sind sie – relativ besehen – in Bezug auf die hier aufgeworfenen Problemstellungen auch.

Allerdings zeigt schon der fast „klassische“ Fall der virtuell in externen Datenbanken gespeicherten XING-Kontakte ein Problem auf, dass rapide zunimmt: Die private und dienstliche Kommunikation vermengt sich an allen Orten und über alle Devices. Hieraus resultieren für die Unternehmen – gleich ob es sich um den Bereich IT, Personal, Kommunikation oder Revision handelt – mannigfaltige juristische und tatsächliche Probleme. Mit der Zunahme der Bedeutung von Social Media in der externen wie internen Kommunikation steigt die Notwendigkeit von diesbezüglichen Spielregeln sowohl für die Mitarbeiter als auch das Unternehmen selbst. Und dabei ist es bei weitem nicht mit den „10 Do’s & Don’ts“, die dann „Social Media Richtlinie“ genannt werden, getan.

Doch zu diesen ebenso spannenden wie komplexen Fragestellungen gibt es dann demnächst mehr – die Ausführungen dazu würden hier bei weitem den Rahmen sprengen….

Wer nicht warten mag, der kann schon mal den von mir verfassten Artikel „Die Tücken der neuen Medien“ im Human Resources Manager lesen. Der Artikel zeigt in Ansätzen auf, warum „Bunte Leitfäden für die Mitarbeiter“ (leider) nicht zur Regelung der Social Media Kommunikation im Unternehmen ausreichen.

In diesem Sinne,

auf bald und mehr zur Notwendigkeit von Social Media Richtlinien.

LG Augsburg: Grundsätzlich kein „Quellenschutz“ für User in Foren von redaktionellen Angeboten (Fall Augsburger Allgemein Zeitung)

Ende Januar stand die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss in den Redaktionsräumen der Augsburger Allgemeinen Zeitung (AAZ) und verlangte die Herausgabe von den Nutzerdaten eines Users, der im Online-Forum der Zeitung einen Kommentar hinterlassen hatte. Der Fall wurde in der Presse und von Kollegen ausgiebig diskutiert.

Ich beschäftigte mich ebenfalls mit der Causa „Augsburger Allgemeine Zeitung“. Während sich Journalisten-Verbände ob der Vorgehensweise „empört“ zeigten und auch geschätzte Kollegen wie Rechtsanwalt Stadler den Durchsuchungsbeschluss als Eingriff in die Pressefreiheit werteten, schätzte ich die Lage gänzlich anders ein. In meinem Artikel  „Beschlagnahmeverbot in Redaktionen steht der Herausgabe von Nutzerdaten entgegen – Ist das so?“ erläuterte ich ausführlich, warum ein sogenannter „Quellenschutz“ für Kommentatoren in Online-Foren von redaktionellen Angeboten nicht greifen und auch die Pressefreiheit der Redaktionen nicht verletzt sein kann. Ich argumentierte im Januar dazu wie folgt:

Richtig ist, dass – wie oben gesagt – auch die Quellen der Presse einen besonderen Schutz genießen und die Redaktionen diese Quellen (aus gutem Grund!) nicht preisgeben müssen. So stellte das Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvR 77/96 mwN) längst klar, dass “der Schutz der Pressefreiheit … ebenfalls die Wiedergabe von Beiträgen Außenstehender, einschließlich der anonymen Veröffentlichung von Zuschriften Dritter” [umfasst].

Aber vorliegend handelt es sich gerade nicht um eine anonyme Veröffentlichung von Zuschriften Dritter DURCH die Redaktion und damit des Presseorgans selbst.

Es verhält sich in der Regel so, dass derartiger User Generated Content nicht die Redaktion durchläuft und damit nicht Teil des redaktionellen Angebots wird – sprich die Beiträge geprüft und im redaktionellen Kontext eingebettet und freigegeben werden. Im Fall solch einer Prüfung und Selektion wäre die Redaktion als Forenbetreiber für Äußerungen Dritter voll verantwortlich. Doch auch wenn sie keine inhaltlich Prüfung der Beiträge vornehmen, sind Forenbetreiber über die sogenannte Störerhaftung für die Äußerungen Dritter verantwortlich, d.h. der Forenbetreiber haftet jedenfalls ab Kenntnis einer Rechtsverletzung auf Unterlassung, gegebenenfalls kann sich der Forenbetreiber aber auch schadensersatzpflichtig gegenüber dem Verletzten machen, wenn er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat und diese nicht beseitigt. Aus exakt diesem Grund betonen Forenbetreiber in der Regel, dass sie inhaltlich nicht für die Beiträge Dritter, also der Kommentatoren, verantwortlich sind. In den Nutzungsbedingungen der Augsburger Allgemeinen Zeitung heißt es dazu in Ziffer 7 wörtlich: 

Der Nutzer ist für die von ihm eingestellten Beiträge allein verantwortlich. Die Betreiberin vermittelt lediglich den Zugang dazu.”

Den kompletten Artikel können Sie hier gerne nachlesen. Die AAZ legte jedenfalls gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde ein und so hatte das Landgericht Augsburg über dessen Rechtmäßigkeit zu befinden. Die Entscheidung ist nach Angabe der AAZ nun ergangen

Durchsuchung im konkreten Fall rechtswidrig

Leider liegt mir die Entscheidung selbst nicht vor. Nach Meldung der AAZ war die Beschlagnahme von Nutzer-Daten im konkreten Fall rechtswidrig. Die Bezugnahme auf den konkreten Fall ist vorliegend wichtig. Denn nach Angabe der AAZ entschied das Landgericht, dass der Durchsuchungsbeschluss deswegen rechtswidrig ergangen sei, weil die diesem Beschluss zu Grunde liegende Äußerung bei wertender Gesamtbetrachtung keine strafbare Äußerung gewesen sei (Wie gesagt, zu den konkreten Äußerungen und deren rechtlicher Einordnung konnte ich nichts sagen, da mir eben diese genauso wenig wie der zur rechtlichen Betrachtung notwendige Kontext vorlagen)

Forennutzer unterfallen nicht dem Schutzbereich der Pressefreiheit

Das LG Augsburg konstantierte weiter aber, dass Userbeiträge weder dem redaktionellen Bereich zuzuordnen noch als Informant eines Pressemitarbeiters anzusehen seien. Die Verantwortung liege allein beim jeweiligen Nutzer. Sic! (s.oben)

Diese Feststellung traf das Landgericht augenscheinlich sehr ausdrücklich. Denn der bearbeitende Redakteur der AAZ Sascha Borowski schrieb darauf einen Kommentar mit dem Titel „Beschlagnahme in der AZ: Der Internetnutzer als Informant„. Hierin leitet der Redakteur aus dem Fakt, dass das Sender-Empfänger-Prinzip in Zeiten von Social Media obsolet geworden ist, ab, dass damit der Kommentator in einem Online-Forum eines redaktionellen Angebots zu einem „Informanten“ der Presse werde. Er schreibt

„Nicht selten gewinnen Redakteure daraus [Anm. d. Verf.: Online-Foren] Informationen  und Ansätze für weitere Recherchen: Aus dem einstigen Prinzip Sender-Empfänger ist ein Miteinander von professionellen Journalisten und mündigen Lesern geworden. […]Wenn Leser zu Informanten werden wollen, müssen sie Redaktionen vertrauen können, dass ihre Daten vertraulich behandelt werden.“

Und weiter heißt es dann:

„Dem Argument, dass Forennutzer vielen Redaktionen heute auch als Informanten dienen und ihre Daten deshalb vom Redaktionsgeheimnis besonders geschützt sind, wollte das Augsburger Landgericht aber leider nicht folgen. Und das ist fatal.“

Das ist überhaupt nicht fatal. Denn völlig richtig hat das Gericht erkannt, dass ein Kommentator nicht deswegen zu einem Informanten der Presse wird, weil er einen eigenen – unabhängigen – Beitrag in einem Online-Forum schreibt, von dem sich das Presseorgan qua eigener Nutzungsbedingungen ausdrücklich distanziert und den darüber hinaus im Zweifel noch nicht einmal ein Mitarbeiter des Presseorgans zur Kenntnis genommen hat. Wo sollte also der Informantenstatus liegen? Und auch nimmt der User eines Forums nicht „aktiv“ an der Berichterstattung des Presseorgans Teil. Genauso wenig wie nicht jeder Leserbrief, die täglich in den Redaktionen ankommen, sogleich Teil der redaktionellen Berichterstattung ist. Es mangelt an der redaktionellen Prüfung, Bewertung und Einbettung in das redaktionelle Angebot.

Was wäre das auch für ein Widerspruch (dazu s. a. oben): Auf der einen Seite könnte sich sich das Presseunternehmen ausdrücklich von den Inhalten Dritter qua Nutzungsbedingungen distanzieren, um eben für diese nicht (voll umfänglich) haften zu müssen, andererseits könnten sie für genau den gleichen Kommentar bzw. Kommentator die Pressefreiheit und den Quellenschutz reklamieren? Das hier etwas auch in dieser Hinsicht mehr als nur hakt, ist offensichtlich.

Fazit

Die Entscheidung des Landgerichts Augsburg ist zu begrüßen. Ich bin auf die Entscheidung im Wortlaut gespannt. Und denke, der Fall wird weiterhin für Diskussionen sorgen. Und so freue ich mich schon jetzt auf den Schlagabtausch mit dem Kollegen Stadler bei ForNet-Symposium der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik an der Universität Passau.

In diesem Sinne,

besser auch im Online-Forum von SZ, FAZ, AAZ & Co nett bleiben! ’nd

Der Anspruch auf Herausgabe von Nutzerdaten gegen einen Blogbetreiber (Auskunftsanspruch §§ 242, 259 BGB)

Es kommt immer wieder vor, dass User Kommentierungs- oder sonstige UserGeneratedContent-Funktionen von Blogs oder sonstigen Seiten dazu benutzen, andere User herabzuwürdigen, zu schmähen, zu beleidigen oder sich in Bezug auf Dritte geschäftsschädigend zu äußern. Die durch andere Nutzer Verletzten können gegen diese aber in der Regel nicht direkt vorgehen, da die User zumeist unter einem Pseudonym auftreten und nur dem Seitenbetreiber die realen Daten des verletzenden Nutzers bekannt sind.

Da dies natürlich eine unbefriedigende Situation für denjenigen ist, dessen Persönlichkeitsrecht verletzt oder dessen Unternehmen geschäftsschädigende Äußerungen ertragen muss, beschäftigen sich folgerichtig zunehmend die Gerichte mit diesem Thema.

Wer nun meint, dieses Thema hätte es im Blog doch schon einmal gegeben, der erinnert sich augenscheinlich und zu recht an meinen Blogpost „AG München – Herausgabe von Nutzerdaten durch einen Forenbetreiber?“aus März 2011. Dort analysierte ich das Urteil des AG München, Az.: 161 C 24062/10, das sich eben mit der Frage beschäftigte, ob Forenbetreiber die Nutzungsdaten von Usern, die (vermeintlich) geschäftsschädigende Äußerungen innerhalb des Forums tätigten, herausgeben müssen.

Das tl;dr Ergebnis des AG München dazu lautet: Nein, der Forenbetreiber muss die Daten nicht herausgeben, es gäbe keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Herausgabe, jedenfalls stünde dem der Datenschutz vor (so KG Berlin, Az.: 10 U 262/05, im Jahr 2006). Der verletzte Nutzer sei nicht rechtschutzlos, er könne sich per Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft wenden und diese könne dann die Daten heraus verlangen.

Mein tl;dr Ergebnis lautet hingegen: Ich hielt und halte die Entscheidung des AG München sowohl rechtlich als auch praktisch für äußerst fragwürdig. Die Argumente des AG München überzeugen nicht. Dem Verletzten muss der Auskunftsanspruch aus § 242, 259 BGB zur Seite stehen. (Wer meine ausführliche Analyse zu dem Urteils des AG München lesen möchte, bitte hier entlang.)

OLG Dresden bejaht den Auskunftsanspruch nach §§ 242, 259 BGB

Nun hat sich zu Beginn diesen Jahres das OLG Dresden (Az.: 4 U 1850/11) in einem sog. Hinweisbeschluss mit der Materie befasst. Die Entscheidung ist interessant und mir persönlich eine Freude, schließt sich das OLG Dresden doch meinen Ausführungen zum Auskunftsanspruch nach § 242, 259 BGB an. *ähem.*hust. Natürlich nicht. 😉 Vielmehr stützt es sich auf die – auch von mir zitierten und zur Begründung herangezogenen – Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 242, 259 BGB, also die quasi seit dem Anbeginn der Zeit (BGH, Az. II ZR 149/52 vom 28.10.1953)  bis heute gültige (BGH, I ZR 291/98 vom 17. Mai 2001) ständige Rechtsprechung des BGH.

Zwar spricht das OLG Dresden im vorliegenden konkreten Fall den Auskunftsanspruch dem Kläger nicht zu. Dies jedoch nur deswegen, da es sich bei der im Streit stehenden Äußerung um ein von der Meinungsfreiheit gedecktes Werturteil handelte (Einzelheiten dazu: OLG Dresden (Az.: 4 U 1850/11), I, 2. a), b) und c).

Ausführlich weist das Gericht jedoch darauf, dass der allgemein bürgerrechtliche Auskunftsanspruch nach § 242, 259 BGB grundsätzlich anwendbar ist. Das OLG Dresden führt wörtlich in Ziffer I 4. b) dazu aus:

Er [Am. der Redaktion: Der Auskunftsanspruch] besteht grundsätzlich in jedem Rechtsverhältnis, in dem der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechtes im Ungewissen und der Verpflichtete unschwer zur Auskunftserteilung in der Lage ist (so bereits BGHZ 10, 385). Unter diesen Voraussetzungen ist ein Anspruch auf Auskunftserteilung auch dann gegeben, wenn nicht der in Anspruch Genommene, sondern ein Dritter Schuldner des Hauptanspruchs ist, dessen Durchsetzung der Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung ermöglichen soll (BGH GRUR 2001, 841; GRUR 1995, 427; GRUR 1994, 635).“

Übersetzt bedeutet dies: Der durch einen bspw. Blog-Kommentar Verletzte kann seine Verletzung schlecht verfolgen, da er den Verletzer, also den „bösen“ Kommentator nicht kennt. Der Blogbetreiber hingegen kann die zu dem Verletzer führenden Daten, wie dessen Email-Adresse, leicht auffinden und herausgeben. Dies muss er auch tun, denn:

Stellt sich ein Kommentar in einem Blog als rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verletzten dar, unterliegt nämlich auch der Blogbetreiber ebenso wie ein Hostprovider unter bestimmten Voraussetzungen, namentlich bei Verletzung von Prüfpflichten, der allgemeinen Störerhaftung (BGH, Urteil vom 25.10.2011, VI ZR 93/10 – zitiert nach Pressemitteilung; NJW 2011, 753; CR 2010, 458; Senat, Hinweisbeschluss vom 7.10.2011, 4 U 919/11 n.v.).“

Und dann kommt es:

Der Auskunftsanspruch ergibt sich dann als Minus zu den ansonsten bestehenden Ansprüchen auf Unterlassung und Löschung persönlichkeitsverletzender Einträge.

Sic! Eben. Der Auskunftsanspruch nach §§ 242, 259 BGB auf Herausgabe der Nutzerdaten steht also dem Verletzten gegenüber dem Blog- oder sonstigen Seitenbetreiber zu.

Nicht verhehlen möchte ich aber, dass sich das Urteil ausdrücklich – gar im Leitsatz (!) – gegen den am 03.08.2011 ergangenen Hinweisbeschluss des OLG Hamm (Az. I-3 U 196/10) stellt, welcher das Bestehen des Auskunftsanspruchs eben so wie das AG München unter Verweis auf die vorgeblich fehlende „planwidrige Regelungslücke“ verneint.

Wie gesagt, die besseren Argumente sprechen mE für die Auffassung des OLG Dresden. Bei diesen divergierenden oberlandesgerichtlichen Rechtsauffassungen bleibt jedoch abzuwarten, was irgendwann einmal der BGH zu dieser Frage sagen wird…

In diesem Sinne,

auf konstruktiven statt rechtsverletzenden UserGeneratedContent! 🙂