Big Data, Scoring & Recht – Teil 2: Ein Praxisbeispiel aus dem HR-Bereich

Mitautor: Christian Frerix, wissenschaftlicher Mitarbeiter*

Im zweiten Teil dieses Artikels wechseln wir die Perspektive. Nachdem wir im ersten Teil gezeigt haben, dass das externe Scoring dem Grunde nach zulässigerweise betrieben werden kann, schauen wir nun darauf, ob das Geschäftsmodell – im jeweils konkreten Fall – auch von den Kunden, also den den Auftrag gebenden Unternehmen, unter datenschutzrechtlichen Aspekten genutzt werden darf. Das BDSG kennt keine ausdrücklichen Lösungen für diese Fragestellungen. Die Normen zum Scoring und zu Auskunfteien wurden zum einen vor dem Hintergrund von Bonitäts-Prüfungen und Kreditvergaben entwickelt, zum anderen sind sie nur mühsam auf Sachverhalte wie den hiesigen, die unter Zuhilfenahme modernster Data-Analysen und Data-Mengen arbeiten, zu adaptieren (Mehr dazu gibt’s im ersten Teil des Artikels, ebenso wie den Hinweis auf den dazugehörigen Fachaufsatz).

Welchen Nutzen hat das Scoring für die Arbeitswelt?

Die Scoring-Verfahren erfreuen sich gerade im Bereich „Human Resources“ (HR) zunehmender Beliebtheit. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel sorgen in zahlreichen Branchen und Regionen dafür, dass Unternehmen verstärkt Abgänge von Mitarbeitern vermeiden, die Personalplanung verbessern und Wettbewerbsvorteile im Recruitment erlangen müssen. So existieren hier bereits Scoring-Verfahren, die die Wechselbereitschaft von Mitarbeitern prognostizieren können. Derartige Scorings bieten einerseits den sie nutzenden Arbeit gebenden Unternehmen etwa die Möglichkeit, eventuelle Mitarbeiterabgänge zu erkennen und diesen entgegen zu wirken. Personalberater andererseits können mit derartigen Tools wechselbereite Mitarbeiter identifizieren und somit Ansprache-Erfolge erhöhen.

Wer kann das Geschäftsmodell nutzen?

Sowohl Arbeitgeber als auch Personalberater könnten die Scorewerte für Entscheidungen im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit verwenden. Die Frage ist nur: Dürfen die das? Bedenken könnten dagegen bestehen, weil es zur Ermittlung des Scorewertes mindestens eines personenbezogenen Datums bedarf, welches an den Scoring-Anbieter übermittelt werden muss. Dafür ist wiederum eine Einwilligung oder ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand von Nöten. Wie schon im ersten Teil gezeigt, gestaltet sich das Einholen einer Einwilligung auch im Rahmen dieser Datenübermittlung praktisch sehr schwierig. Deshalb kommt nur eine gesetzliche Erlaubnisvorschrift in Betracht. Da die Zulässigkeit der Übermittlung eines personenbezogenen Ursprungsdatums von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, etwa um welche Daten es sich handelt und zu welchem Zweck die Übermittlung und vor allem Auswertung stattfinden soll, verlassen wir die abstrakte Ebene nun und widmen uns beispielhaft nur der Übermittlung eines personenbezogenen Datums zur Berechnung der Wechselwahrscheinlichkeit einer Person im Hinblick auf deren Arbeitsstelle. Da es einen Unterschied macht, ob Arbeitgeber oder Personalberater die Daten übermitteln, werden beide im Folgenden getrennt erörtert.

Arbeitgeber

Übermittelt der Arbeitgeber Daten seiner Beschäftigten, so handelt es sich dabei um Daten, die besonders schutzbedürftig sind (§ 3 Abs. 11 BDSG). Wann solche Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt (und damit auch übermittelt) werden dürfen, sagt § 32 BDSG. Danach dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Hier fällt auf, dass dort nichts zum Scoring steht. Deshalb muss geklärt werden, ob und in welchem Umfang ein Scoring im Rahmen von Beschäftigtenverhältnissen möglich ist.

Das Problem ist nun, dass in Bezug auf Beschäftigtendaten allein § 32 BDSG gelten könnte. Der Jurist spricht dann von der sog. Sperrwirkung, die durch die vorrangige Norm – hier § 32 BDSG – gegenüber der nachrangigen Norm – hier § 28b BDSG – entfaltet wird. Wenn nun im vorrangigen § 32 BDSG weder etwas zum Scoring steht noch auf § 28b BDSG verwiesen wird, dann könnte man daraus schließen, dass der Gesetzgeber kein Scoring in Arbeitsverhältnissen zulassen wollte. Nur deshalb, weil der Gesetzgeber sich dazu nicht geäußert hat, kann aber noch nicht auf seine Ablehnung geschlossen werden. Ebenso möglich ist es, dass er es schlicht vergessen hat, das Scoring im Arbeitsverhältnis zu regeln und es sich deshalb um ein Redaktionsversehen handelt. Genauso könnte man daraus aber auch schließen, dass der Gesetzgeber sich bewusst nicht geäußert hat, da ihm klar war, dass Personalentscheidungen ohnehin täglich auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitswerten getroffen werden (müssen).

So lässt eine schlechte Mathematik-Note in der Regel auf ein wenig ausgeprägtes logisches Denkvermögen schließen und ein erfolgreich abgeschlossener Eignungstest, wie ein firmenspezifisches E-Assessment, darauf, dass der Kandidat vermutlich für die ausgeschriebene Stelle geeignet ist.  Alle diese Werte treffen nur eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit dessen, ob der Bewerber für die Stelle geeignet ist oder nicht. Sie bieten dagegen keine Sicherheit. Eben diese Wahrscheinlichkeitswerte werden aber jeden Tag in unzähligen deutschen Personalabteilungen für Entscheidungen über die Begründung, Durchführung oder ggf. die Beendigung von Arbeitsverhältnissen verwendet. Warum also sollte die Nutzung eines Scoringwertes, der ja ebenso „nur“ eine Wahrscheinlichkeit vermittelt, im Arbeitsverhältnis dann unzulässig sein? Nur deshalb, weil für diese Form der Bewertung neben der Erfahrung des Personalers unterstützend neue Technologien bereitstehen und angewandt werden? Der Grund für eine derartige Differenzierung im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, so dass nach hier vertretener Ansicht das Scoring auch zur Wertermittlung im Arbeitsverhältnis genutzt werden kann. Eine Sperrwirkung entfaltet § 32 BDSG zwar nicht, da ihm jedoch im Hinblick auf Beschäftigtendaten Vorrang gebührt, müssen dessen Regelungen zur Nutzung der Daten zum Scoring trotzdem berücksichtigt werden (dazu s.o.).  Grundsätzlich kann das externe Scoring damit auch zur Wertermittlung in Arbeitsverhältnissen genutzt werden.

Personalberater

Übermittelt der Personalberater das personenbezogene Datum eines potentiellen Kandidaten zur Errechnung eines Score-Wertes, so könnte auch dieses als Beschäftigten-Datum dem Schutz des § 32 BDSG unterfallen. Hier ist der potentielle Kandidat jedoch vom Bewerber (der als Beschäftigter im Sinne des Gesetzes gilt) zu unterscheiden. Während sich zwischen einem Bewerber und dem potentiellen Arbeitgeber schon eine (vorvertragliche) Beziehung manifestiert hat, an dessen Ende womöglich ein Beschäftigungsverhältnis steht, mangelt es zu Beginn des Active Sourcing Prozesses an eben einer solchen Beziehung. Die vorvertragliche Vertrauensphase zwischen Bewerber und Unternehmen, bei der der Gesetzgeber dem Bewerber/Arbeitnehmer besonderen Schutz zubilligt, ist im Fall der Suche nach nur potentiellen, erst noch zu identifizierenden Kandidaten schlicht nicht vorhanden. § 32 BDSG ist auf Daten potentieller Kandidaten daher nicht anzuwenden. Die Rechtmäßigkeit richtet sich daher nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 BDSG. Danach dürfen allgemein zugängliche Daten übermittelt werden, sofern kein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen entgegensteht.

Wie sieht‘s denn mit dem Arbeitnehmerschutz aus?

Das schutzwürdige Interesse ist hier ein gutes Stichwort. Wie bereits angeklungen ist, können Arbeitgeber und potentielle Kandidaten natürlich nicht sämtliche Daten einfach so weitergeben. Vielmehr sind sie an die gesetzlichen Vorschriften gebunden. Während im Falle des Personalberaters der Übermittlung kein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen entgegenstehen darf, gelten für Arbeitgeber die erhöhten Anforderungen des § 32 BDSG, wonach nur erforderliche Daten übermittelt werden dürfen. Da in beiden Fällen aber eine Abwägung der Interessen von Betroffenen und übermittelnder Stelle vorgenommen werden muss, diese aber nur im jeweiligen Einzelfall vorgenommen werden können, sollen an dieser Stelle lediglich allgemeine Erwägungen gemacht werden.

Zunächst ist zu statuieren, dass Werte zur Berechnung der Wechselwahrscheinlichkeit natürlich grundsätzlich geeignet sind, den Unternehmensinteressen im Bereich Recruting und Retention-Management Rechnung zu tragen. So zum Beispiel, indem wechselwillige Fachkräfte über den Score identifiziert und mit entsprechenden Maßnahmen im Unternehmen gehalten werden können. Als mildere Alternative zur Datenübermittlung und der anschließenden Score-Wertung käme lediglich das persönliche Gespräch mit dem Mitarbeiter in Betracht.  Im datenschutzrechtlichen Sinne mag dies eine mildere Maßnahme sein, die gleiche Eignung kann jedoch stark bezweifelt werden. Zum einen mangelt es an der Validität und Vergleichbarkeit. Zum anderen sind persönliche Gespräche sowohl zeitaufwendiger als auch teurer. Über Score-Werte hingegen könnten zunächst Gesprächsbedarfe ermittelt und im Anschluss zielgerichtet Gespräche geführt werden.

Darüber hinaus handelt es sich beim Score-Wert um einen Wahrscheinlichkeitswert, der unmittelbar keine Rechtsfolge  (wie z.B. eine Kündigung) auslöst.  Es kommt daher nicht per se zu irgendeinem Nachteil des Arbeitnehmers. Vielmehr kann für diesen auch vorteilhaft sein, wenn ihm der Arbeitgeber bei einer erhöhten Wechselwahrscheinlichkeit ein vorzeitiges Angebot unterbreitet, um ihn zu halten. Jedenfalls ist kein Nachteil im Vergleich zur sonstigen Prognose-Entscheidung eines Personalers zu erkennen, da Prognosen inhärent ist, dass diese falsch sein können.  Um dem vorzubeugen, schützt bereits das Arbeitsrecht den Arbeitnehmer vor rein auf Prognosen basierenden Entscheidungen des Arbeitsgebers. Da dieser Schutz nicht auf persönliche Prognosen (basierend auf dem „Bauchgefühl“ des Personalers) beschränkt ist, entstünde dem Arbeitnehmer nur durch die Zuhilfenahme von auf Algorithmen basierenden Score-Werten kein grundsätzlicher Nachteil.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass zur Ermittlung des Wertes vorliegend ausschließlich allgemein zugängliche Daten für eine Wertermittlung genutzt werden. Da diese Daten von den Betroffenen im Rahmen der von ihnen ausgeübten informationellen Selbstverantwortung selbst offen zur Verfügung gestellt wurden, kann ein entgegenstehendes berechtigtes Interesse der Betroffenen in der Regel nicht erkannt werden.

[Wem diese Abwägung nun irgendwie ein wenig zu kurz vorkam, dem sei noch einmal der Fachaufsatz Big Data-Analysen & Scoring in der (HR-)Praxis – Dürfen aus allgemein zugänglichen personenbezogenen (Arbeitnehmer-)Daten Score-Werte erstellt und genutzt werden? PinG, 01/16, S. 30, bei dem ich mich intensiv mit diesen Fragestellungen auseinandersetze, ans Herz gelegt]

Im Falle des Personalberaters wird zudem bereits das Ausgangsdatum einer allgemein zugänglichen Quelle (z.B. XING) entnommen. Ein entgegenstehendes Interesse begründende sonstige Nachteile sind in der Regel auch nicht ersichtlich. Denn eine auf Grund der Auswertung des Wahrscheinlichkeitswertes erfolgende unerwünschte Kontaktaufnahme kann datenschutzrechtlich noch kein überwiegendes schutzbedürftiges Interesse des Kandidaten begründen. Und davon abgesehen, dass ebenso die Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kandidat gerade eine Kontaktaufnahme wünscht, gilt auch hier: Auch ohne den Einsatz vom Scoring-Wert zu einer Wechselbereitschaft treffen Headhunter Prognosen und sprechen Kandidaten an. Unter Zuhilfenahme des Scores ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein an einem Wechsel tatsächlich interessierter Kandidat vom Headhunter angesprochen wird.  Ein grundsätzlich überwiegendes Kandidateninteresse ist daher abzulehnen.

Danach ist eine Übermittlung sowohl der Arbeitnehmerdaten als auch der potentieller Kandidaten zu Scoringzwecken nicht generell unzulässig. Wie gezeigt, kann eine für jeden Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung durchaus eine Zulässigkeit begründen. Während Personalberater dabei geringeren Anforderungen unterliegen, müssen Arbeitgeber die erhöhten Anforderungen des § 32 BDSG beachten.

Fazit

Wie im ersten Teil versprochen, gab es zu diesem Thema jede Menge zu schreiben. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die gesetzliche Regelung in § 28b BDSG nach der hier vertretenen Auffassung auch das Scoring-Verfahren in anderen Lebensbereichen, wie z.B. der Arbeitswelt, erfasst. Das Verfahren kann sowohl intern als auch extern betrieben werden. § 28b BDSG stellt hierfür in Verbindung mit §§ 28, 29 BDSG die notwendige Gesetzesgrundlage dar. Die damit grundsätzlich zulässige Möglichkeit des Betreibens von externem Scoring entbindet den Dienstleister jedoch nicht von seiner datenschutzrechtlichen Verantwortung. Insoweit gelten die datenschutzrechtlichen Grundsätze und Vorschriften auch ihm gegenüber. Die Inanspruchnahme der Dienste externer Scoringanbieter durch Arbeitgeber und Personalberater ist ebenfalls im Rahmen der jeweils geltenden Vorschriften zulässig. Insbesondere dürfen einer Übermittlung des Ursprungsdatums keine schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen entgegenstehen. Ob dies der Fall ist, lässt sich nur in jedem Einzelfall herausfinden. Allerdings ist auch zu bemerken, dass es zu diesem Thema bislang weder Rechtsprechungen gibt noch dass die – hier aufgeführten Ergebnisse – durch einen Blick ins Gesetz ersichtlich wären. Es ist vielmehr nur mit viel mehr Mühe möglich, derartige Praxis-Sachverhalte überhaupt unter das Gesetz zu subsumieren. Deshalb bleibt abzuwarten, ob und wann der Gesetzgeber merkt, dass es doch noch einiges zu tun gibt. Wünschenswert wäre es, wenn dies früher geschieht, als beim Hasen im Wettlauf gegen den Igel.

In diesem Sinne,

bis dahin! Es bleibt spannend.

*Der Jurist Christian Frerix promoviert derzeit an der Universität Hamburg und war daneben bis November 2017 in der Anwaltskanzlei Diercks (vormals: im Hamburger Büro von Dirks & Diercks Rechtsanwälte) als Jurist tätig.