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Beschlagnahmeverbot in Redaktionen steht der Herausgabe von Nutzerdaten entgegen – Ist das so?

Seit gestern wird der Fall der Augsburger Allgemeinen Zeitung breit diskutiert. Die Aufregung ist groß.

Was ist passiert?

Im Online-Forum der Augsburger Allgemeinen Zeitung vergriff sich ein Kommentator im Ton, ein CSU-Politiker fühlte sich angegriffen und wollte sich gegen den Kommentar zur Wehr setzen und vor allem die Nutzerdaten des Kommentators erlangen, um gegen diesen selbst vorgehen zu können. Hierzu schaltete der Politiker einen Anwalt ein, der – soweit ich es verstanden habe – vom Forenbetreiber (also der Augsburger Allgemeinen Zeitung) Unterlassung und die Herausgabe der Nutzerdaten verlangte. Die Herausgabe der Nutzerdaten verweigerte die Redaktion unter Verweis auf das Datenschutzrecht des Kommentators und die Meinungsfreiheit.

Der Anwalt des Politikers stellte darauf hin für seinen Mandanten Strafanzeige und es wurde ein Durchsuchungsbeschluss erwirkt, um die Nutzerdaten heraus zu verlangen. Zu einer Durchsuchung kam es nicht, da die Redaktion die Daten dann herausgab.

Warum wird der Durchsuchungsbeschluss kritisiert?

Der Durchsuchungsbeschluss wird mannigfaltig kritisiert.

Ein Ansatz ist, dass gar kein Straftatbestand vorläge, da die Äußerung schon keine Beleidigung darstelle, sondern von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Hierzu kann ich an dieser Stelle keine Aussage treffen, da ich weder den genauen Wortlaut noch den Kontext, in dem dieser getätigt wurde, kenne. Allerdings spricht der Durchsuchungsbeschluss dafür, dass der zuständige Richter eine eben solche erkannte.

Weiter sei der Durchsuchungbeschluss rechtswidrig ergangen, da der Durchsuchung § 97 V StPO, mithin das „redaktionelle Beschlagnahmeverbot“, entgegenstehe. Die Pressefreiheit ist aus gutem Grund ein hohes Gut und über verschiedene Normen besonders geschützt. Auch die Quellen der Presse unterstehen diesem besonderen Schutz, es besteht keine Verpflichtung, diese Quellen seitens der Redaktionen offen zu legen. Der Kollege Stadler sieht im vorliegenden Fall den Quellenschutz verletzt und hält den Durchsuchungsbeschluss deswegen für rechtswidrig.  Selbiges wird von verschiedenen Tageszeitung wie zum Beispiel der taz kolportiert.

Warum kein Beschlagnahmeverbot vorliegt

Es besteht jedoch kein Beschlagnahmeverbot im vorliegenden Fall (Sorry, lieber Kollege Stadler, wir können unsere Auffassungen dann gerne im April in Passau diskutieren! 🙂 ) und zwar aus den folgenden Gründen:

Kein Quellenschutz für Kommentatoren in einem Forum

Richtig ist, dass – wie oben gesagt – auch die Quellen der Presse einen besonderen Schutz genießen und die Redaktionen diese Quellen (aus gutem Grund!) nicht preisgeben müssen. So stellte das Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvR 77/96 mwN) längst klar, dass „der Schutz der Pressefreiheit … ebenfalls die Wiedergabe von Beiträgen Außenstehender, einschließlich der anonymen Veröffentlichung von Zuschriften Dritter“ [umfasst].

Aber vorliegend handelt es sich gerade nicht um eine anonyme Veröffentlichung von Zuschriften Dritter DURCH die Redaktion und damit des Presseorgans selbst.

Es verhält sich in der Regel so, dass derartiger User Generated Content nicht die Redaktion durchläuft und damit nicht Teil des redaktionellen Angebots wird – sprich die Beiträge geprüft und im redaktionellen Kontext eingebettet und freigegeben werden. Im Fall solch einer Prüfung und Selektion wäre die Redaktion als Forenbetreiber für Entäußerungen Dritter voll verantwortlich. Doch auch wenn sie keine inhaltlich Prüfung der Beiträge vornehmen, sind Forenbetreiber über die sogenannte Störerhaftung für die Äußerungen Dritter verantwortlich, d.h. der Forenbetreiber haftet jedenfalls ab Kenntnis einer Rechtsverletzung auf Unterlassung, gegebenenfalls kann sich der Forenbetreiber aber auch schadensersatzpflichtig gegenüber dem Verletzten machen, wenn er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat und diese nicht beseitigt. Aus exakt diesem Grund betonen Forenbetreiber in der Regel, dass sie inhaltlich nicht für die Beiträge Dritter, also der Kommentatoren, verantwortlich sind. In den Nutzungsbedingungen der Augsburger Allgemeinen Zeitung heißt es dazu in Ziffer 7 wörtlich: 

Der Nutzer ist für die von ihm eingestellten Beiträge allein verantwortlich. Die Betreiberin vermittelt lediglich den Zugang dazu.“

Deutlicher geht es nicht. Ein Kommentator ist keine Quelle der Redaktion. Punkt. Er veröffentlicht schlicht eigene Beiträge über die Plattform. Und in Folge dessen besteht natürlich auch kein besonderer „Quellenschutz“. Weiter kann also auch das Beschlagnahmeverbot nicht einschlägig sein. Der Unterschied zu den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen ist damit offensichtlich.

Es wäre auch ein grober Wertungswiderspruch, wenn sich die Betreiber von Foren im Falle der Inanspruchnahme wegen verletzender Inhalte mit der Begründung, es handele sich nicht um eigene Beiträge, aus der vollen Haftung nehmen könnten, zeitgleich aber in dem Falle, in dem ein Verletzter auf die Herausgabe der Nutzerdaten besteht, dieses Ansinnen mit dem Verweis auf den Quellenschutz, der ja nur bei eigenen redaktionellen Beiträgen bestehen kann, ablehnen könnten.

Es besteht (ohnehin) ein Anspruch auf Herausgabe der Nutzerdaten

Der Fall, dass jemand über die Beiträge eines (zunächst) unbekannten Dritten über eine Plattform beleidigt oder sonst an der Persönlichkeit verletzt wird oder aber geschäftsschädigende Äußerungen über sich ergehen lassen muss, ist nicht so neu, als dass es dazu nicht schon Entscheidungen gegeben hätte.

Das AG München:

Im Frühjahr 2011 beschäftigte sich das AG München mit dieser Frage. Ich habe die Entscheidung des AG München ausführlich und sehr kritisch im Blog besprochen. Hier noch einmal in aller Kürze: Ein Verletzter verlangte Herausgabe der Daten von einem Forenbetreiber.

Das AG München sagte dazu: Nein, der Forenbetreiber muss die Daten nicht herausgeben, es gäbe keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Herausgabe, jedenfalls stünde dem der Datenschutz vor (so KG Berlin, Az.: 10 U 262/05, im Jahr 2006). Der verletzte Nutzer sei nicht rechtschutzlos, er könne sich per Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft wenden und diese könne dann die Daten heraus verlangen. (Aha! Dazu sogleich mehr).

Mein Ergebnis lautete hingegen: Ich hielt und halte die Entscheidung des AG München sowohl rechtlich als auch praktisch für äußerst fragwürdig. Die Argumente des AG München überzeugen nicht – schon gar nicht der Verweis auf die Staatsanwaltschaft. das gerade keinen gleichwertigen Ersatz zum Auskunftsanspruch sieht! (Dem Verletzten muss der Auskunftsanspruch aus § 242, 259 BGB zur Seite stehen (Wie gesagt: Hier entlang, wer meine Anmerkungen zum AG München in Gänze lesen mag).

Das OLG Dresden

Das OLG Dresden musste sich zu Beginn des Jahres 2012 ebenfalls mit dieser Frage beschäftigen. Es führte in einem sogenannten Hinweisbeschluss meines Erachtens absolut zu Recht aus:

Er [Am. der Redaktion: Der Auskunftsanspruch] besteht grundsätzlich in jedem Rechtsverhältnis, in dem der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechtes im Ungewissen und der Verpflichtete unschwer zur Auskunftserteilung in der Lage ist (so bereits BGHZ 10, 385). Unter diesen Voraussetzungen ist ein Anspruch auf Auskunftserteilung auch dann gegeben, wenn nicht der in Anspruch Genommene, sondern ein Dritter Schuldner des Hauptanspruchs ist, dessen Durchsetzung der Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung ermöglichen soll (BGH GRUR 2001, 841; GRUR 1995, 427; GRUR 1994, 635).”

Übersetzt bedeutet dies: Der durch einen bspw. Blog-Kommentar Verletzte kann seine Verletzung schlecht verfolgen, da er den Verletzer, also den “bösen” Kommentator nicht kennt. Der Blogbetreiber hingegen kann die zu dem Verletzer führenden Daten, wie dessen Email-Adresse, leicht auffinden und herausgeben.

Wer das genauer wissen möchte, der kann meine ausführlichen Anmerkungen zum Urteil des OLG Dresden gerne hier nachlesen.

Und der Datenschutz des Kommentators?

In Fällen der Rechtsverletzung wie vorliegend ein meines Erachtens perfides Argument.

Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass „die Zubilligung des Auskunftsanspruchs, da es sich um einen Anwendungsfall des in § 242 BGB niedergelegten Grundsatzes von Treu und Glauben handelt, unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen [hat]. Dabei sind sowohl die Art und Schwere der Rechtsverletzung als auch die beiderseitigen Interessen des Berechtigten und des Verpflichteten angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH MDR 2002, 228 , 229 m.w.N.).“ (s. LG Berlin Az. 27 O 616/05)

Das heißt dem Datenschutz wird innerhalb eines Auskunftsanspruchs im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung Rechnung getragen. Das Recht auf Datenschutz und die Art und Weise der Rechtsverletzung stehen sich dann gegenüber. Wenn es sich um eine nicht unerhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzung handelt, kann auf das Argument des Datenschutzes auf seiten des Verletzers jedenfalls nicht reüssiert werden.

Welche Auswirkungen hat das für den vorliegenden Fall?

Ganz offensichtlich ist noch nicht höchstrichterlich geklärt, ob ein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch eines Verletzten gegenüber einem Forenbetreiber auf Herausgabe der Daten eine Verletzers besteht. Dies wusste sicher auch der Anwalt des CSU-Politikers. Die Angelegenheit spielt in Augsburg. Und der Anwalt tat wie ihm vom AG München geheißen:  Er sah sich – „mangels“ zivilrechtlichem Auskunftsanspruchs – gezwungen, den Weg über die Staatsanwaltschaft zu gehen, um an die Daten zu gelangen.

Denkt man dies weiter und nähme man nun an, es gäbe einerseits keinen zivilrechtlichen Anspruch, aber andererseits einen (nicht bestehenden! siehe oben) Quellenschutz eines Kommentators, so könnte nach dieser Rechts“logik“ ein Verletzter also weder über den zivilrechtlichen Weg noch über die Staatsanwaltschaft an die Daten des Verletzers gelangen. Der Verletzte würde vollkommen rechtsschutzlos gegenüber seinem Verletzer dastehen. Ein vollkommen unbilliges Ergebnis.

Fazit

Die Annahme eines bestehenden „Quellenschutzes“ halte ich in Fällen des User Generated Content wie vorliegend für falsch. Richtig ist meines Erachtens das Vorhandensein eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs, in dem natürlich die Rechte der Betroffenen im Rahmen der Interessenabwägung zu einem vernünftigen Ausgleich gebracht werden können – aber in jedem Fall ein klarer Rechtsweg für diese Fälle offen steht und die Hürde der strafrechtlichen Anzeige und der Einschaltung der Staatsanwaltschaft dem Verletzten gar nicht erst auferlegt wird.

In diesem Sinne,

einfach immer nett bleiben! ’nd

PS: Schon gestern wurde ich dazu von der w&v interviewt. Vielen Dank dafür! Das Interview kann hier abgerufen werden.