AG München – Herausgabe von Nutzerdaten durch einen Forenbetreiber?

Vor einem guten Monat beschäftigte sich das AG München, Az.: 161 C 24062/10 mit der Frage, ob Forenbetreiber die Nutzungsdaten von Usern, die (vermeintlich) geschäftsschädigende Äußerungen innerhalb des Forums tätigten, herausgeben müssen. Da diese Fallkonstellation, bzw. die Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung oder sonstige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, in der Forenlandschaft doch recht häufig vorkommt, ein doch recht guter Grund, sich damit einmal näher zu beschäftigen.

Der Fall und die Sicht des AG München…

In dem vorliegenden Fall verlangte die Klägerin Auskunft von der Beklagten über Namen und Anschrift von Nutzern, die sich im Forum der Beklagten verschiedentlich geäußert hatten. Die Beklagte betreibt ein Forum, auf dem sich registrierte Nutzer zum Thema Auto untereinander austauschen können. Unter diesen Foreneinträgen fanden sich solche, bei denen die Klägerin als Betreiberin mehrerer Autohäuser sich beeinträchtigte wähnte und geschäftsschädigende Auswirkungen befürchtete. Zwar hat die Beklagte die streitgegenständlichen Äußerungen unverzüglich entfernt, jedoch weigerte sie sich, dem o.g. Auskunftsverlangen stattzugeben. Die Klägerin verlangte die Daten der User heraus, um diese ebenfalls auf Unterlassung in Anspruch nehmen zu können (ergo, damit diese nicht in diesem oder in anderen Foren ihre Äußerung erneut tätigen).

Die Klage wurde abgewiesen.

Nach Auffassung des AG München hat die Klägerin keinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Forenbetreiber. Die Beklagte ist als Forenbetreiber der Anbieter eines Telemedienstes, so dass die Vorschriften des Telemediengesetzes (TMG) samt dessen datenschutzrechtlicher Bestimmungen einschlägig sind. § 12 TMG regelt dabei, dass die für die Bereitstellung des Telemediendienstes erhobenen personenbezogenen Daten nur herausgegeben werden dürfen, soweit dies ein Gesetz, das sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht oder der Nutzer eingewilligt hat. Eingewilligt haben die Nutzer hier nicht. Also hätte es einer gesetzlichen Regelung bedurft. Eine solche findet sich auch in § 14 Abs. 2 TMG

„Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder des Bundeskriminalamtes im Rahmen seiner Aufgabe zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist.“

Es ist offensichtlich, keiner der dort genannten Zwecke war vorliegend im Fall, der vor dem AG München verhandelt wurde, gegeben.

Nun gibt es im Recht durchaus die Möglichkeit eine Vorschrift analog anzuwenden. Die Analogie ist ein Verfahren, bei dem eine Rechtsnorm über ihren durch Auslegung festgestellten Inhalt hinaus auf weitere, ähnlich liegende Fälle angewandt wird oder bei dem ein im Gesetz nicht geregelter, aber regelungsbedürftiger Fall unter eine Rechtsnorm subsumiert wird, die für andere, ähnlich liegende Fälle gilt (Harry Zingel – Methoden der Rechtsanwendung, S. 3). Meint anders ausgedrückt: Die Norm findet auch Anwendung auf Fälle, die gerade nicht in der Norm genannt sind. Voraussetzung für eine solche Anwendung einer Norm ist jedoch die sog. planwidrige Regelungslücke, d.h. es muss nicht nur überhaupt eine gesetzliche Bestimmung fehlen, sondern es muss vielmehr deutlich sein, dass der Gesetzgeber diese Regelungslücke nicht bemerkt hat, diese also „unbeabsichtigt“ ist. Das AG München vertritt die Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 2 TMG für den Kläger nicht in Betracht kommt. Denn in der Zusammenschau mit § 12 TMG werde deutlich, dass der Gesetzgeber mit § 14 Abs. 2 TMG gerade eine abschließende Regelung der Ausnahmetatbestände treffen wollte, in denen ein Telemediendienst gezwungen werden kann, Auskunft über seine Nutzer zu erteilen. Demnach besteht also keine solche planwidrige Regelungslücke in dem Fall, in dem sich jemand verleumdet sieht.

Auch der allgemeine Auskunftsanspruch, der sich aus dem Grundsatz von „Treu und Glauben“ nach §§ 242, 259 BGB, scheidet nach Auffassung des AG München aus. Schließlich sei § 14 Abs. 2 TMG das speziellere Gesetz. Hierbei verhält es sich im Grundsatz so, dass solch ein lex specialis, das für einen bestimmten Bereich eine Regelung trifft, nicht dadurch wieder „ausgehebelt“ werden kann, in dem doch wieder ein allgemeineres Gesetz angewendet wird; das spezielle Gesetz hat Vorrang.

Schließlich verweist das AG München noch darauf, dass die Klägerin auch nicht rechtschutzlos gestellt sei. Schließlich könne die Klägerin einen Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft stellen und im Wege der ihr dann zustehenden Akteneinsicht an die gewünschten Daten gelangen.

…und ein paar Anmerkungen dazu:

Zunächst einmal ist in § 14 Abs. 2 TMG an sich gar kein Auskunftsanspruch seitens eines möglicherweise Verletzten, sondern vielmehr nur die Gestattung der Auskunft durch den Forenbetreiber geregelt (vgl. auch: RA Stadler) Demnach stünde dem Verletzten – mangels lex specialis – wohl ein Auskunftsanspruch nach §§ 242, 259 BGB zu, der aus den datenschutzrechtlichen Erwägungen des § 14 Abs. 2 TMG in Verbindung mit § 12 TMG nach Auffassung des AG München jedoch nicht durchgesetzt werden könnte. – Gut, das mag jetzt für den Nichtjuristen nach Haarspalterei klingen… deswegen weiter im Text: Davon also einmal abgesehen mag die Argumentation des AG München insbesondere vor dem Verweis auf die Rechtsschutzmöglichkeit bei der Staatsanwaltschaft in sich erst einmal überzeugen. Aber ob es sich in der Gesamtschau um ein billiges Ergebnis handelt, mag dann doch fraglich sein. Schließlich ist dem Forenbetreiber bei der Verletzung von geistigem Eigentum nicht nur gestattet, die Daten herauszugeben, sondern der Rechteinhaber findet im Urheberrechtsgesetz sowie im Markengesetz eigenständige  gesetzliche Auskunftsanspruch, bzw. auch im Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrecht den mittlerweile gewohnheitsrechtlichen anerkannten sog. „unselbstständigen Auskunftsanspruch“, der ebenfalls dem Grundsatz des § 242 BGB entnommen wurde und der gerade die Durchsetzung verletzter Rechte so einfach wie möglich machen soll.

Mit welcher Berechtigung nun die Durchsetzung des Rechts bei einer Verletzung des geistigen Eigentums einfacher sein soll als im Fall der Verletzung des Persönlichkeitsrecht, mag nicht einleuchten. Warum ist einem Telemedienanbieter die Herausgabe von Nutzerdaten im Fall der Verletzung von geistigem Eigentum gegenüber dem Verletzten gestattet, nicht aber gegenüber demjenigen, der an seiner Persönlichkeit verletzt wurde (und der nach hier vorliegender Ansicht einen Auskunftsanspruch aus eben §§ 242, 259 BGB hat)? Das geistige Eigentum erfährt somit „mehr“ Schutz als das Persönlichkeitsrecht… Eine sinnvolle Erklärung drängt sich mir an der Stelle nicht auf.

Doch ebenso argumentierte das KG Berlin, Az.: 10 U 262/05, im Jahr 2006. Hier fälschte der registrierte Nutzer eines Webhosting-Betreibers für private Homepages Nacktbilder der Klägerin und machte diese der Öffentlichkeit zugänglich. Die Klägerin verlangte vom Webhoster Auskunft über den Nutzer. Zwar gestand das KG Berlin grundsätzlich den Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zu, betonte aber, dass eben dieser nicht durchgreifen könnte, da die datenschutzrechtlichen Regelungen dem entgegenstünden. Die Angelegenheit landete allerdings nur vor dem KG Berlin (2. Instanz), da das LG Berlin den Auskunftsanspruch zuerkannte. Meines Erachtens zu Recht zitiert das LG Berlin die ständige Rechtsprechung des BGH:

„Ein Auskunftsanspruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben besteht, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGH NJW 2002, 3771 , 3772; MDR 2002, 228 , 229 m.w.N.).“

So verhält es sich. Der Anspruchsberechtigte ist über das (Nicht-)Bestehen seines Anspruchs im Ungewissen und ein Forenbetreiber (oder sonstiger Telemedienanbieter) kann sehr einfach die erforderliche Auskunft erteilen. Insbesondere wird deutlich aufgezeigt, dass der Verweis auf die staatsanwaltschaftliche Auskunft keinen „gleichwertigen“ Rechtsschutz darstellen kann:

„Die Klägerin … muss sich dabei insbesondere nicht darauf verweisen lassen, dass ihr der Weg der Strafanzeige offen steht und im Rahmen eines Strafverfahrens Auskunft über die bei der Beklagten vorhandenen Daten begehrt werden könnte. Denn bei dem hier in Rede stehenden Beleidigungsdelikten nach §§ 185 ff. StGB erscheint es naheliegend, dass das Ermittlungsverfahren ohne weitere Ermittlungen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und die Klägerin gem. §§ 374 Abs. 1 Nr. 2 , 376 StPO auf den Privatklageweg verwiesen wird.“

Es ist auch einfach nicht verständlich, warum derjenige, der an der Persönlichkeit verletzt wurde, zunächst auf die Staatsanwaltschaft verwiesen wird, nur um letzlich eine Einstellungsnachricht, aber eben auch auf diesem Wege Akteneinsicht und damit die Daten der Verletzer erlangen, während derjenige dessen geistiges Eigentum verletzt ist, direkt zum Telemedienbetreiber durchmaschieren darf. Nicht zu vergessen: Für viele Betroffene kann der Gang zur Staatsanwaltschaft auch durchaus eine erstmal zu nehmende „Hürde“ im Kopf darstellen.

Da zudem von die Daten von einem (wahrscheinlichen) Rechtsverletzer herausverlangt werden, überzeugt meines Erachtens das Argument des Datenschutzes ohnehin nicht. Das LG Berlin setzt sich in der genannten Entscheidung mit diesem Argument auch ausführlich auseinander. Die Argumentation des KG Berlin und des AG München verbleibt schlicht bei der „Vorrangigkeit des Datenschutzes“, die sich aus den Normen ergebe und der Feststellung „In den (datenschutzrechtlichen) Regelungen hat der Gesetzgeber die gegenläufigen Interessen abschließend berücksichtigt und die zur Auskunft berechtigten Stellen und die zur Auskunft berechtigenden Zwecke auch ausdrücklich genannt.“ Dass diese Berücksichtigung hinreichend stattgefunden hat, ist mE gerade nicht der Fall. Dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts hinter den datenschutzrechtlichen Belangen eines Rechtsverletzers stets (also ohne weitere Abwägung) stehen bleiben soll, überzeugt aus den vorgenannten Gründen keinesfalls. Zumal bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechten nicht nur Unterlassungs-, sondern auch Schadensersatzansprüche im Raum stehen, die gegenüber dem Telemedienbetreiber als – wenn überhaupt – reinem Störer gerade nicht durchgesetzt werden können. Und vor dem Hintergrund der gesetzlich normierten Gestattungs-Ausnahme im Fall der Verletzung geistigen Eigentums spricht doch so einiges dafür, dass es sich gerade bei der mangelnden Aufzählung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts eben doch um eine planwidrige Regelungslücke handelt.

Da Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufgrund der fortschreitenden Nutzung von Social Media Anwendungen jeglicher Art in den verschiedenen Telemediendiensten voraussichtlich eher zu- als abnehmen werden, ist auch damit zu rechnen, dass die Frage des Auskunftsanspruches gegenüber den Betreibern von Telemedien bei Persönlichkeitsrechtverletzungen noch mehr als einmal auf Tableau kommt. Wie sich die Rechtsprechung (und gegebenenfalls die Gesetzgebung) hier vor diesem Hintergrund weiter entwickelt, darf mit Spannung abgewartet werden.

In diesem Sinne schönen Dienstag!