Ja, Sie haben leider richtig gelesen. Doch bei allem Schrecken, ich verspreche Ihnen, am Ende des Tunnels ist noch Licht. Oder vielmehr leuchtet in diesem Artikel zuweilen (etwas mehr als) der Silberstreif am Horizont.
Nun aber von vorne und der Reihe nach:
Die Datenschutzbehörden NRW und die Datenschutzbehörde Berlin haben ihre sogenannten „Tätigkeitsberichte“ für 2016 veröffentlicht. In diesen Tätigkeitsberichten berichten die Behörden, nicht sehr überraschend, über ihre Tätigkeit im vergangenen Jahr. Etwa wie sie bestimmte Verhaltensweisen, Arbeitsprozesse oder eingesetzte Tools im öffentlichen Bereich (Behörden) oder nicht-öffentlichen Bereich (Unternehmen) geprüft und beurteilt haben.
In beiden Tätigkeitsberichten wird auch zum Thema Beschäftigtendatenschutz Stellung genommen, dabei unter anderem zu den Themen „Bewerbungsgespräche über Skype“ und „videobasierte zeitversetzte Interviews„. Darum soll es dann auch hier im Folgenden gehen.
Bewerbungsgespräche über Skype
In etlichen Unternehmen ist die Nutzung von Skype-Video-Interviews als nächster Auswahlschritt nach der Sichtung der Bewerbungsunterlagen (sowie ggf. nach weiterer negativer Personalvorauswahl mittels eines Online-Assessments) Normalität – genauso wie Video-Calls mit Geschäftspartnern. Hier wie dort ist der Hauptgrund für Video-Telefonie in der Praktikabilität zu finden. Keiner muss extra einen halben oder gar einen ganzen Tag für ein Gespräch auf Reisen verbringen, weil er oder sie sich am anderen Ende Deutschlands oder gar im Ausland aufhält. Erst recht gilt dies für den Fall, in dem ohnehin mehrere Auswahlrunden vorgesehen sind, einen ersten gegenseitigen Eindruck kann man auch wunderbar über ein Video-Interview gewinnen. Und da wir alle wissen, dass die Märkte in zahlreichen Branchen und Regionen konsequent zum Bewerbermarkt drehen, sind es zunehmend die Bewerber selbst, die höflich anfragen, ob das erste Gespräch nicht auch per Skype erfolgen könne, damit Fahrtstrecken und Aufwand gemieden werden können.
Natürlich „erspart“ sich der potentielle Arbeitgeber die Zahlung von Reisekosten für den Bewerber. Aber die könnte er sich ohnehin ersparen. Denn es existiert – entgegen landläufiger Meinung – keine Verpflichtung des Arbeitgebers die Aufwände des Bewerbers zu ersetzen. Die gesetzliche Regelung des § 670 BGB, wonach der Auftraggeber (hier Arbeitgeber) dem Beauftragten (hier Bewerber) die Aufwendungen, die der Bewerber hat, ersetzen muss (soweit diese erforderlich sind, First Class Flug ist also nicht drin) kann abbedungen werden. Sprich: Erklärt der Arbeitgeber im Vorwege, er trage keine Reisekosten bezüglich des Bewerbungsgespräches, muss er diese auch nicht zahlen.
Dass eine Weigerung der Übernahme der Reisekosten etwas kleinlich wirkt, darauf müssen wir jetzt nicht weiter eingehen. Denn, wie schon gesagt, der Hauptgrund in der Verwendung von Skype-Interviews liegt einfach daran, dass es einfach und schnell geht, keine Reise, keine Umweltverschmutzung (das ist doch sonst allen sooo wichtig?), keine Hassle mit der (internen) Buchung von Konferenzräumen, kein Catering, kein Stress. Und: Es ist oft der Wunsch der Bewerber.
Was spricht also dagegen? Tja. Dagegen spricht nach Ansicht der Datenschutzbehörde Berlin (Berliner Beauftrage für Datenschutz und Informationsfreiheit, „Jahresbericht 2016“, S. 116 f.) das Folgende:
Exkurs:
Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist grundsätzlich verboten. Es sei denn, eine sog. Erlaubnisnorm gestattet die Datenverarbeitung oder es liegt die Einwilligung eines Betroffenen vor. (Vgl. § 4 BDGS bzw. Art. 6 DSGVO).
Die Verarbeitung von Beschäftigtendaten ist nach § 32 BDSG gestattet. Dort heißt es:
Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.
Bewerber gelten über § 3 Abs. 11 BDSG auch als Beschäftigte.
Sinngemäß (fast) das Gleiche wird sich aus Art. 88 DSGVO iVm. § 26 DSAnp-UmG-EU ergeben.
Folglich muss eine Datenverarbeitung im Beschäftigungsverhältnis erforderlich sein, also sie muss
- geeignet sein, den umschriebenen Zweck zu erfüllen,
- erforderlich sein, in dem Sinne als es kein milderes gleich geeignetes Mittel zur Erreichung des Zwecks gäbe,
- verhältnismäßig im engeren Sinne sein, das heißt, die Interessen des Arbeitgebers an der Verbesserung der Personalauswahl müssen hier gegenüber den Interessen des Arbeitnehmers bzgl. der Datenerfassung abgewogen werden.
Nach Auffassung der Datenschutzbehörde Berlin sind Skype-Interviews nicht erforderlich im Sinne von § 32 BDSG.
Skype-Interviews seien objektiv schon nicht zwingend geboten, um Stellen besetzen zu können. Allein der vorstehende Satz macht mich schon wahnsinnig. Was soll das denn heißen?! Kein einziges Recruiting-Tool ist „objektiv geboten“ bzw zwingend, um Stellen zu besetzen. Natürlich sind Stellen ohne jedes Tools „besetzbar“. Nach dieser Argumentation dürfte ein Unternehmen ausschließlich Papierbewertungen nach Noten und Alter sortieren und dann die oberen 10% zum persönlichen Gespräch laden. Wirklich ein großartiger Auswahlprozess nach allen Regeln der Kunst. Oder so. (Machen Sie sich aber auch in diesem Fall bitte keine Notizen von Ihrem Eindruck des Bewerbers im Bewerbungsgespräch. Das könnte datenschutzrechtlich bedenklich sein. [Okay, okay, ich versuche den Sarkasmus ein wenig zurück zu fahren. Sachlich mehr dazu weiter unten.])
Daneben bemerkt die Behörde, dass „Chat-Protokolle auf den Servern von Microsoft in den USA bis zu 90 Tage zwischengespeichert [werden]. Es findet demnach eine Datenübermittlung dorthin statt.“ Und weiter, dass „nach den entsprechenden Datenschutzbestimmungen von Microsoft […] auch Microsoft personenbezogene Daten (Kommunikationsnutzerdaten) [erhebt, verarbeitet und nutzt].“ (Satzumstellungen der besseren Lesbarkeit wegen durch die Verfasserin). – Nee! Ist nicht wahr! Microsoft hat auch Zugriff auf personenbezogen Daten von Skype-Nutzern. Verrückt! Wer hätte das gedacht? Dass Skype aber auch im Bundle von Office 365 daherkommt… Ups. Ich frage mich an dieser Stelle, ob irgendjemand bei der Datenschutzbehörde weiß, dass Skype zu Microsoft gehört? Und ja, es gibt kein Konzernprivileg im Datenschutz, schon klar. Aber möglicherweise könnte dies den Grund für die Verweisungen in den Datenschutzerklärungen darstellen? (Und btw, ich finde den oben genannten Passus, dass Daten in jedem Fall in die USA übermittelt und für 90 Tage gespeichert werden, jetzt nicht, aber ich habe auch nur die Fassung aus März 2017 vorliegen)
Und hat irgendjemand bei den Datenschutzbehörden einmal über die Office 365 Deutschland Cloud (MCD) nachgedacht? Es ist nämlich durchaus möglich, Skype-Interviews mit Skype for Business zu führen, ohne dass die Nachrichten, Sprach- und Video-Daten auf US-Servern landen. Diese Datenspeicherung in Deutschland verspricht jedenfalls Microsoft. Auf Nachfrage via Twitter wurde mir dies von Raphael Köllner, der einer der Microsofts MVP (Most Valuable Professional) ist, bestätigt. Wird Skype for Business genutzt, ist zu dem kein (!) eigener Skype-Account des Bewerbers notwendig.
Natürlich stellt sich hier die Frage, ob die ausschließliche Speicherung in der MCD auch der Fall ist, wenn nur das Unternehmen MCD nutzt, der Gesprächspartner aber das kostenlose „normale“ Skype. In diesem Fall wird vermutlich redundant der Gesprächsverlauf zunächst auch auf US-Servern verarbeitet (ich weiß es nicht genau, ich nehme es an. Diese Fragen sind mir noch nicht beantwortet worden). Auch das ist, wenn ich das richtig verstanden habe, technisch möglich. Rainer Köllner sagte mir jedoch, dass auch in diesem Fall die Daten alle über die MCD laufen, jedenfalls solange der Bewerber in Europa sitzt. Denn die Server von Skype laufen in Dublin (= Irland = EU /=/ USA).
Doch von diesen Konstellationen nun einmal ganz abgesehen… in dem Fall, in dem der Bewerber Skype schon selber nutzt, hat der Bewerber Skype doch ohnehin schon installiert! Er hat sich selbst schon mit den Nutzungsbedingungen von Skype einverstanden erklärt und zwar vollkommen unabhängig (!) vom Bewerbungsverfahren.
Dass diese verrückte Möglichkeit existiert, also dass Bewerber ohnehin schon Skype installiert haben und insoweit wohl schon den Datenschutzbedingungen seitens des Bewerbers zugestimmt wurde, sieht die Behörde scheinbar dann auch. Denn es heißt weiter: “
„Selbst wenn auf Bewerberseite alle Datenerhebungen und -flüsse von einer Einwilligung gedeckt wären, bliebe das Datenschutzproblem hinsichtlich der Beschäftigten im Auswahlgremium.“
Sinngemäß: Selbst wenn der Bewerber alle Einwilligungen zur Datenverarbeitung in Bezug auf Skype abgegeben hat und selbst wenn diese Einwilligungen wirksam sind, dann, ja, dann: Geht das trotzdem nicht! Und zwar weil der angestellte Recruiter ja den Datenübertragungen von Skype/Microsoft ausgesetzt wäre.
Und hier wird es dann endgültig zum Treppenwitz. Denn zum einen könn(t)en die Recruiter eben MCD einsetzten (keine Datenübertragung in die USA, alles datenschutzkonform nach BDSG und bald auch nach DSGVO). Zum anderen hat in diesem Fall die rekrutierende Stelle selbst Skype einsetzen wollen. Und weil es sich hier um eine öffentliche Stelle drehte (Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg), hat diese die Fragestellung scheinbar der Datenschutzbehörde „sicherheitshalber“ vorgelegt. Und die Antwort der Datenschutzbehörde lautet frei übersetzt:
- Nein, dass ihr so ein Tool einsetzt, ist nicht nötig. Brieftauben haben bisher für die Stellenbesetzung auch gereicht.
- Selbst wenn Einwilligungen der Bewerber vorliegen,reicht das nicht. Es könnten Datenschutzverletzungen der als Recruiter Beschäftigten vorliegen.
- Über wirksame Einwilligungen der angestellten Recruiter denken wir gar nicht erst nach.
- Von der Office 365 Deutschland Lösung haben wir noch nie gehört. (Okay, um fair zu sein, das ist erst seit Anfang 2017 erhältlich)
Sie finden das jetzt beim Lesen alles nicht so ganz logisch? Ja, nun, ich auch nicht.
Versuchen wir das Ganze positiv zu sehen:
Schieben wir den Sarkasmus aber etwas beiseite und blicken wir wohlwollend auf das Statement der Berliner Datenschutzbehörde. Denn es lässt sich auch herauslesen, dass Skype-Interviews durchaus möglich sein können.
Die Behörde sagt selbst, dass Einwilligungen möglich sind und zwar ganz direkt:
„Wünschen die Betroffenen selbst die Nutzung von Skype, wird zwar grundsätzlich von einer Freiwilligkeit auszugehen sein. Allerdings sind nach beiden Vorschriften die Betroffenen über die Bedeutung der Einwilligung, insbesondere über den Verwendungszweck der Daten aufzuklären. Die Aufklärungspflicht umfasst bei beabsichtigten Übermittlungen auch den Empfänger der Daten sowie den Zweck der Übermittlung“
Ich verstehe jetzt zwar nicht so richtig, warum ich noch eine Einwilligung einholen muss, wenn der Bewerber das Interview selbst wünscht. Denn dann, wie gesagt, wird der Bewerber doch ohnehin schon Skype installiert und den Datenschutzbedingungen zugestimmt haben, jedenfalls aber damit seine Zustimmung zur Verwendung im konkreten Fall erteilt haben, aber … was versteh ich schon… Lassen Sie den Bewerber auch in diesem Fall vor dem Interview in Textform erklären, dass
- der Wunsch zur Durchführung des Interviews per Skype besteht,
- bereits ein Skype-Account vorhanden ist / der Einladung zu Skype for Business gerne gefolgt wird,
- die Einwilligung zur Nutzung zu Interview-Zwecken erteilt wird und
- dass Kenntnis von der und das Einverständnis zu den Datenschutzbedingungen von Skype besteht.
Sollte der Bewerber nicht von sich aus den Wunsch nach einem Skype-Interview äußern, so können Sie als Unternehmen dann Skype-Interviews unter den nachfolgenden Bedingungen durchführen, wenn:
- Eine Einwilligung des Bewerbers eingeholt wird (s.o.).
- Die Einwilligung freiwillig und informiert erfolgt.
- Die Informationen zur Datenverarbeitung auch bzw. insbesondere auf die Datenverarbeitung von Skype und Microsoft Bezug nehmen.
- Dem Bewerber neben dem Skype-Interview weitere Möglichkeiten (Telefongespräch, Gespräch vor Ort etc.) angeboten werden, so dass eine zwanghafte Kopplung zum Skype entfällt.
In Ihrem eigenen Interesse (auch vor dem Hintergrund der DSGVO ab 2018) sollten Sie dabei Lösungen wie MCD und Skype for Business nutzen. Damit müssten dann die Bewerber auch keinen eigenen Skype-Account anlegen/verwenden. (Nein, leider bekomme ich von Microsoft diesen Beitrag nicht gesponsert. Sonst würde ja auch „Anzeige“ drüber stehen. 😉 )
Sie finden das jetzt alles kompliziert und sehr praxisfremd? Ja, was soll ich sagen. Ich auch. Aber sagen Sie das – vielleicht mit vorstehenden Argumenten – der Berliner Datenschutzbehörde.
Und schließlich fragen Sie sich, wie der Fall denn gelagert ist, wenn der Bewerber eine phyische US-IP-Adresse hat und somit so oder so zwingend ein US-Server angepingt wird? Das frag ich mich auch. Wahrscheinlich dürfen Sie dann nicht mit ihm sprechen. Weil für eine juristische Sekunde die IP-Adresse Ihres Unternehmens (Oh Gott vielleicht haben Sie statische IP-Adressen und zusammen mit MAC-Adresse, Uhrzeit etc. kann man ihren persönlichen Rechner identifizieren!) dann in die USA übertragen und dort gespeichert wird. Ach, dann dürften Sie sich noch nicht mal US-Webseiten ansehen, ja gut… äh, das ja. Das besprechen Sie bitte ebenfalls mal mit der Datenschutzbehörde in Berlin.
[Ach so, dass Sie im Übrigen alle notwendigen Unterlagen wie Verfahrensverzeichnisse, Datenschutzrichtlinien, technisch und organisatorische Maßnahmen, Auftragsdatenverarbeitungsverträge etc. pp. vorliegen haben müssen, ist hoffentlich klar.]
[Last but not least: Vor zwei Stunden ging ein Bericht der FAZ durch Twitter, wonach die Ärztekammer in Baden-Württemberg die künftige Zulässigkeit von Skype-Beratungen und Diagnosen-Erstellungen via Skype erklärt haben soll. Tja. Bin gespannt wie das die Datenschutzbehörde dort sieht.]
Zeitversetzte Video-Interviews
Nach dem wir hinsichtlich des behördlichen Skype-Verbots (halbwegs) Entwarnung geben konnten, wenden wir uns nun zeitversetzten Video-Interviews im Personalauswahlprozess zu.
Hier bekommen Bewerber in der Regel die Zugangsdaten zu einer Online-Plattform übersendet. Ist der Bewerber eingeloggt und hat er das Interview aktiviert, erhält der Bewerber dann Fragen gestellt. Diese Fragen kann der Bewerber mittels Videoaufnahmen beantworten. Der Vorteil für den Bewerber: Er kann sich den Zeitpunkt der Durchführung des Interviews aussuchen und sich auf dieses vorbereiten. Der Vorteil für die Recruiter des Unternehmens: Sie können sich den Zeitpunkt, in dem sie die Bewerbungsvideos sichten, aussuchen. Win-Win also soweit für beide Seiten soweit im Auswahlprozess.
Übrigens: Es handelt sich um ein Instrument der negativen Personalvorauswahl! Das heißt, es handelt sich hier um einen Schritt in der Personalauswahl. Das ist ein Teil des Rekrutierungsprozesses, mehr nicht. Ein Teil, der für beide Seite an dieser Stelle vereinfacht wird. (Ob es ein hilfreiches Tool für den konkreten eigenen Unternehmensprozess ist, ist eine völlig andere Frage).
Tja, aber so einfach ist das nach Auffassung der Datenschutzbehörde nun nicht. Im Tätigkeitsbericht der Berliner Datenschutzbehörde (Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, „Jahresbericht 2016“, S. 117 f.) heißt es:
„Videointerviews im Rahmen von Einstellungsverfahren sind unzulässig.“
Ja. So habe ich auch geguckt. Denn „Die zusätzliche Erhebung und Nutzung von Bild- und Tonaufzeichnungen der Bewerberinnen und Bewerber stellt einen wesentlich intensiveren Eingriff in deren informationelles Selbstbestimmungsrecht dar als die übliche Beantwortung von Fragebögen o. Ä. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Gebot der Datensparsamkeit hinzuweisen.“
Ja, nein. Ehrlich gesagt, nein. Da fällt mir jetzt auch schon nur noch sehr wenig zu ein. Aber es kommt noch besser. Die Datenschutzbehörde NRW (Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Datenschutz und Informationsfreiheit, 23. Bericht 2017, S. 52 f.) schreibt zu zeitversetzten Video-Interviews:
„Im Unterschied zu flüchtigen, weil nicht reproduzierbaren Wahrnehmungen in einem Gespräch ermöglicht die Aufzeichnung von Ton und Bild eine detailliertere und intensivere Auswertung auch des nonverbalen Verhaltens (etwa Mimik, Gestik, Tonfall). Dies mag für die Auswahl für Berufe mit starkem Öffentlichkeitsbezug etwa bei Fernsehsendern erforderlich und daher ggf. zulässig sein – für künftige Beschäftigte in der Verwaltung ist es das nicht.“
Ähm….. (Setzen Sie hier eines dieser GIFs im Kopf ein, die meine unendliche Fassungslosigkeit ausdrücken.) Gut. Ja, Videos und Bilder sind auch personenbezogene Daten. Klar. Und ja, ja, Daten im Beschäftigungskontext müssen immer erforderlich sein.
Aber was für ein Bild von Recruitern und deren Tätigkeit haben denn die Datenschützer in Berlin und NRW eigentlich? Ist bekannt, dass der Job von Recruitern ist, passendes Personal zu finden? Und ist bekannt, dass für die Passung natürlich eine Auswertung sowohl kognitiver Fähigkeiten als auch nach Persönlichkeit erfolgt, gar erfolgen muss? Weil zum Beispiel ein hochgradig introvertierter Sales-Bewerber möglicherweise nicht die Key-Accounts offensiv anwerben kann und zu dem in das Team von fünf Exzentrikern kaum zu integrieren ist? Oder weil ein Bewerber zur Unternehmenskultur (et vice versa) ganz grundsätzlich passen muss?
Kommen wir aber zum juristischen Argument der Erforderlichkeit zurück: Ein Mittel muss geeignet sein, um den Zweck zu erreichen. Der Zweck eines Rekrutierungs-Tools besteht darin, eine Rekrutierung mit möglichst hoher Passung zu erreichen. Geeignet ist das Tool prinzipiell dazu. Weiter darf es kein milderes gleich geeignetes Mittel geben.
Die Datenschutzbehörde Berlin setzt hier, das „flüchtige Gespräch“ als gleich geeignet aber weniger eingriffsintensiv voraus. Ist das so? Milder ist das Mittel im datenschutzrechtlichen Sinne, da es keine personenbezogene Videoaufnahmen gibt. Ist ein flüchtiges Interview aber gleich geeignet? Kann ein Rekruiter bei 30 Interviews im Rahmen der negativen Personalauswahl (und selbst bei 3) die Passung objektiv beurteilen, obwohl er den „Erfolg“ eines Interviews aus dem Kopf rekapitulieren muss? Aus einer Erinnerung, die in Teilen schon vom nächsten Bewerber überlagert ist? Anstelle sich den Bewerber Nr. 2 noch einmal ansehen zu können? Vielleicht gar noch einmal zusammen mit einem Kollegen ansehen, um vielleicht einen weiteren objektiven Impuls von einem Dritten zur Bewertung zu erhalten? Nun?
Die Datenschutzbehörde NRW führt als mildere Mittel dagegen die Konkretisierung des Anforderungsprofils, die bessere Auswertung der Bewerbungsunterlagen sowie die Ausweitung stellenspezifischer kognitiver Tests auf. Das Problem ist bloß, all diese Mittel verfolgen schon nicht den gleichen Zweck und sind schon sinnlogisch nicht gleich geeignet. Zweck von Video-Interviews ist ja die Bestimmung einer Passung durch Beobachtung der Kandidaten in Interview-Situationen. Gemein ist allen diesen Vorschlägen hingegen zunächst, dass sie im Auswahl prozesszeitlich stets vor den Interview-Situationen stehen und mit einer solchen schon überhaupt nicht vergleichbar sind.
Eine weitere Konkretisierung des Anforderungsprofils führt im Zweifel nur zu Reduktion der Kandidatenanzahl. Dies korreliert aber nicht zwingend mit einer besseren Passung. Es ist vielmehr anzunehmen, dass sich gegebenenfalls ebenfalls geeignete und vielleicht gar besser passende Kandidaten gar nicht mehr bewerben. Eine bessere Auswertung der Bewerbungsunterlagen ist immer ein hehres Ziel. Doch wie soll die „bessere Auswertung“ eine Interview-Situation ersetzen? Das bleibt wohl das Geheimnis der Behördenmitarbeiter. Und die Ausweitung kognitiver Tests ist ebenfalls ein guter Ansatz, um den Rekrutierungsprozess zu optimieren. Doch zum einen ersetzen kognitive Assessments ebenfalls keine Interview-Eindrücke. Zum anderen sind die Maßnahmen auch hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit nicht vergleichbar.
Wir halten fest: An dieser Stelle kann also schon bezweifelt werden, ob die Eignung vergleichbar ist. Nach hiesiger Auffassung sind die Mittel schon nicht gleich geeignet. Oder anders: Das/die mildere(n) Mittel ist/sind nicht gleich geeignet. Folglich ist es kein milderes Mittel aber gleich geeignetes Mittel gegenüber den Video-Interviews ersichtlich.
Übrigens, wer sich hier jetzt an der „Bewertung“ stört: Personalauswahlverfahren sind von Bewertungen gekennzeichnet und zwar immer. Dafür braucht man personenbezogene Daten. Das kann auch die Notiz des Personalers zu Herrn Müller und Herrn Meier aus den Gesprächen seien. Oder sollen nun selbst solche Aufzeichnungen datenschutzrechtlich unzulässig sein, da die Aufzeichnungen (die übrigens noch 3 Jahre in der Schublade von Personalleiter Zonk „aufbewahrt“ werden) einen intensiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Bewerbers aufgrund der möglichen wiederholten Bewertung darstellen, der über das „flüchtige Gespräch“ hinausgeht?
Wenn wir aber gar kein milderes, gleich geeignetes Mittel haben, dann müssten wir die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne prüfen. Hierbei ist stets zu prüfen, ob die Nachteile, die aus einer Maßnahme resultieren, die Vorteile, die aus der Maßnahme entstehen, überwiegen. Klingt einfach. Praktisch läuft es am Ende auf eine Grundrechtsabwägung heraus. Das ist nicht so einfach. Hier stehen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Grundrecht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegenüber.
Vorliegend hat der Bewerber Interesse an dem Job. Dafür gibt es ein Bewerbungverfahren. Dieses Verfahren beinhaltet eine Videoaufzeichnung eines Teils der Interviews. Und diese Videoaufzeichnung soll ein derartiger Nachteil aufgrund des schlimmen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sein, dass es den Vorteil möglicher besserer Passung und objektiverer Beurteilung nicht stand hält? Einem Vorteil, der sich auch zu Gunsten des Bewerbers auswirkt? Ich sehe das hier nicht. Ich denke, man wird mit guten Argumenten zur Verhältnismäßigkeit kommen.
Eine Interessensabwägung nach allen Regeln der Kunst will und kann ich zum einen schon aus zeitlichen Gründen nicht vornehmen. Zum anderen fehlen mir dafür maßgebliche Informationen. So zum Beispiel, wie konkret die Interviews verwendet werden, wie diese ausgewertet werden, welche Rolle sie im Gesamtprozess spielen, welche Plattform verwendet wird, welche Daten dafür wie und an wen übertragen werden etc. pp..
Es ist eh gehüpft wie gesprungen, denn die Behörde steigt schon beim Merkmal der Erforderlichkeit aus. Verständlich ist das nicht. Oder vielleicht doch. Nämlich dann, wenn man den letzten Satz im Tätigkeitsbericht der Berliner Datenschutzbehörde (Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, „Jahresbericht 2016“, S. 118 ) zu diesem Abschnitt liest. Dort steht:
Weshalb die Nutzung videogestützter Befragungen von Bewerberinnen und Bewerbern für die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem Unternehmen erforderlich sein soll, war weder ersichtlich noch wurde es dargelegt.
Anders ausgedrückt: Die (eignungsdiagnostischen) Rahmenbedingungen von Rekrutierungsverfahren sind unbekannt. Erklärt hat es auch keiner (also das anwendende Unternehmen scheinbar nicht hinreichend). Und damit ist eben eine Erforderlichkeit der Maßnahme aus Sicht der Datenschutzbehörden im Sinne von § 32 BDSG nicht zu erkennen.
Ähm. Ja. So ist es halt.
Fairerweise muss ich an dieser Stelle noch sagen, dass die Datenschutzbehörde NRW hier im Tätigkeitsbericht schon ein wenig weiter ausführt als die Berliner Behörde. (Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Datenschutz und Informationsfreiheit, 23. Bericht 2017, S. 52 f.) Verständlicher oder nachvollziehbarer wird es damit unter Einbeziehung der hier aufgeführten Argumente zum „milderen Mittel“ nicht. Und zu dem (in diesem Fall ging es um eine Behörde, nicht um ein Unternehmen wie in Berlin) wird auch die Keule des Art. 33 rausgeholt; es sei derjenige benachteiligt von diesem Verfahren, der „sein Recht am Bild und gesprochenen Wort halten“ wolle. Ich lass das jetzt mal so stehen.
Natürlich handelt es sich hier nur um die Tätigkeitsberichte. Das sind kurze Zusammenfassungen von Fällen und/oder Haltungen der Datenschutzbehörden. Nicht die gesamten Gutachten. In diesen hier vorgenannten Fällen würde ich diese zu gerne lesen. Und verstehen, warum zum Beispiel das Berliner Unternehmen (anscheinend?) nicht gegen diese Einschätzung der Behörde im konkreten Fall vorgegangen ist.
Ich bin mal gespannt. Denn zum Beispiel in Hamburg sitzt ein sehr großes Unternehmen, das zeitversetzte Interviews einsetzt. Ebenso in Stuttgart. Beide Unternehmen verfügen über sehr gute, sehr große Compliance-Abteilung. Und ich würde darauf wetten, dass diese Unternehmen es hier darauf ankommen lassen und sich in die Auseinandersetzung um diese Themen mit der Behörde begeben würden. Es wäre zu schön.
Update I – 02.05.2017 – Zuständigkeit der jeweiligen Datenschutzbehörden
Mir ist es natürlich klar. Aber verschiedene Kommentare an unterschiedlichen Orten zeigten mir, dass es sehr vielen Lesern nicht ganz so eingängig ist: Datenschutz ist Ländersache. Die jeweiligen Landesdatenschutzbehörden sind ausschließlich für die Unternehmen in ihrem Bundesland verantwortlich bzw. zuständig.
Und so käme es z.B. für Unternehmen in Hamburg nur überhaupt dann zu einer Auseinandersetzung mit der (Hamburger Datenschutzbehörde,) wenn das HmbfDI ebenfalls anfinge, die Auffassungen aus Berlin und NRW zu teilen.
Gelesen habe ich aber auch, dass die „Entscheidungen nicht verbindlich seien“. Nun ja. Die Entscheidungen sind eben so verbindlich, wie es Verwaltungsentscheidungen zwischen den jeweiligen Parteien sind. Natürlich kann die Behörde in einem ähnlich gelagerten, aber doch anderem Fall anders entscheiden (z.B. weil eine andere Software eingesetzt wird.) Fakt ist aber, wenn eine Behörde eine solche grundlegende Auffassung hat, ist die Ausgangslage, diese vom Gegenteil zu überzeugen, nicht die allerbeste. Und leider, leider kann es auch sein (nicht (!) muss!), dass sich andere Landesbehörden diesen Auffassungen anschließen. Und hier kommen meine Statements von oben ins Spiel: Meines Erachtens kann man hier in der Sache absolut zu anderen Ergebnissen gelangen. Und man sollte dafür auch eintreten (wenn man nicht wieder Waschkörbe will…) Allerdings braucht man dann – nach dem Jetzt-Stand insbesondere in Berlin und NRW – einen längeren Atem für die Auseinandersetzung.
Update II – 02.05.2017 – Statement des Anbieters Viasto
Des Weiteren erreichte mich gestern eine Nachricht des Anbieters von zeit-versetzten Video-Interviews Viasto. Diese sitzen ebenfalls in Berlin (und genau aus diesem Grund hatte ich den Namen im Blogartikel bisher nicht erwähnt).
Und nun wird es ganz und gar erstaunlich. Viasto hat sich schon 2011 mit der Berliner Datenschutzbehörde auseinandergesetzt und diese bestätigte schriftlich, dass „keine grundsätzlichen Bedenken“ gegenüber dem Einsatz der „interview suite“ (so nennt Viasto die eingesetzte Software) bestehen. Bekannt waren Viasto die Bedenken aus NRW im Hinblick auf den Einsatz zeitversetzter Interviews in öffentlichen Einrichtungen (also bei Behörden, nicht bei Unternehmen). Auch bekannt war, dass die neue Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Somltczyk Bedenken gegen die bisherige Auffassung der Behörde wohl hatte. Von dem nun veröffentlichten Tätigkeitsbericht aus 2016 wurde Viasto aber vollkommen überrascht. (Erfahren hat die Geschäftsführung davon unter anderem durch diesen Artikel hier). Und das obwohl Viasto seit Beginn 2017 wieder in Gesprächen mit der Berliner Datenschutzbehörde steht sowie zuletzt vor zwei Wochen, nämlich am 13.04.2017, der Behörde eine ausführliche Stellungnahme zukommen ließ.
Zur vollständigen Stellungnahme von Viasto zu dieser Angelegenheit geht es hier.
Ich wünsche Viasto gute Nerven und den nötigen langen Atem.
Fazit
Ich glaube meine Haltung wurde deutlich. Ich kann diese hier aufgeführten Entscheidungen/juristischen Einschätzungen der Datenschutzbehörden nicht teilen. Aus ganz praktischer Sicht bin ich fassungslos (sowie ganz sicher ein Großteil meiner Leser). Und auch juristisch kann ich die Entscheidungen hier einfach nicht nachvollziehen. Folglich bin ich der Meinung, es gäbe auch sehr gute Möglichkeiten, diesbezüglich andere Auffassungen gegen die Datenschutzbehörden durchzusetzen.
All die weil kann nur geraten werden, sich bezüglich ihrer Skype-Video-Calls mit zuvor eingeholten ausdrücklichen Einwilligungen abzusichern (neben all ihren anderen technisch und organisatorischen Maßnahmen im Sinne von BDSG und DSGVO natürlich).
Und jedenfalls in NRW und Berlin sollten Sie beim Einsatz von zeitversetzten Video-Interviews (also Aufzeichnungen) Vorsicht walten und/oder jedenfalls die Muße (okay und Geld) für eine Auseinandersetzung mit den Behörden mitbringen. Schön wäre das.
Oder ach, wie gesagt, wir kehren einfach zur Bewerberauswahl nach Wäschekörben und Noten zurück. Das ging doch früher auch!
Im Ernst: Mögen die Datenschützer Ihre Meinung vertreten. Mag es vielleicht noch einen Bußgeldbescheid geben. Auch in Bewerbungsverfahren werden sich die Technologien nicht aufhalten lassen. Es wäre schön, wenn die Datenschutzbehörden hier mitgestalten würden. Stattdessen entsteht leider der Eindruck, dass Datenschutz per se betrieben wird. Und das verhilft dem Datenschutz ganz sicher nicht zu einem besseren Image.
Ich hoffe, wir überzeugen die Datenschutzbehörden am Ende davon, dass moderne Rektrutierungstools nicht zwingend gegen den Datenschutz laufen müssen.
(Und wenn schon das Wort „Bußgeld“ fällt: Verfahren sollten besser noch jetzt geführt werden. Ab Mai 2018 wird es teuer. 😉 )
Nun, ich bin gespannt, was die Personalverantwortlichen und Dienstleister aus diesem Bereich sagen werden. Fassungsloses, hysterisches Lachen – wahrscheinlich. Wobei… einen Dienstleister wird es vielleicht freuen, schließlich empfiehlt die Datenschutzbehörde NRW den Einsatz von Eignungstests als milderes Mittel, oder Jo Diercks? 😉
In diesem Sinne,
Skype-Interviews kann man auch aufzeichnen. Wer sagt es ihnen?
PS: Es ist spät. Gefundene Fehler können Sie über das lange Wochenende behalten. 😉 Korrigiert! Wenn Sie noch welche finden… ach, sagen Sie gern Bescheid! 🙂
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