Es ist noch gar nicht allzu lange her, da wurden Fragen wie „Wem gehören eigentlich die XING-Kontakte?“ und vor allem wie „Wer hat das Recht an den Social Media Accounts?“ im Rahmen von Dienstleistungs- oder Arbeitsverhältnissen als graue Theorie der Rechtsgelehrten abgetan. Solche Probleme gäbe es in der Praxis nicht, denn:
- Im Social Media Business haben sich alle lieb.
- Das Teilen von Wissen ist Social Media immanent.
(ja, ja, das war jetzt etwas polemisch ausgedrückt…)
Im Jahr 2012 erreichte uns dann die Geschichte des amerikanischen Twitterati @phonedog_noah. Dieser nutzte seinen Account privat wie beruflich und versammelte im Laufe der Zeit 17.000 Follower um sich. Es kam wie es kommen musste, er wechselte den Job und es entbrannte ein Streit um die die Follower. Die Firma phonedog betrachtete die Follower als „Kundenliste“ und verlangte 340.000 US-Dollar an Schadensersatz. Follower als Äquivalent zur „Kundenliste“? Und dafür 340.000 US-Dollar? Man könnte sagen, ein durch und durch amerikanischer Fall – der wohl in Folge dessen auch nicht gerade für einen großen Nachhall bei deutschen Unternehmen sorgte.
Dabei nimmt Social Media zunehmend Raum in der ganz alltäglichen Unternehmenspraxis. Entweder stehen die Mitarbeiter selbst an den Social Media Reglern oder Agenturen verwalten Social Media Etats und Accounts. Doch selbst in den weniger „hippen“ Branchen oder den schlicht etwas konservativeren Betrieben ist Social Media nicht mehr wegzudenken. Wenn kein Facebook oder Twitter, so wird jedenfalls doch XING außerordentlich häufig zum Managen der eigenen Kontakte genutzt. Dass daraus – insbesondere für vertriebsintensive Branchen (welche ist das nicht?) – Probleme entstehen können, ist an sich kein Geheimnis mehr. Und so steigen auch die Nachfragen in unserer Beratungspraxis zu diesen Themenkreisen. Oft genug werden aber noch die Augen davor verschlossen. Das sollte sich die Unternehmens- bzw. Personalleitung jedoch gut überlegen, denn die Problemstellungen erreichen die deutsche Gerichtswirklichkeit – wie der nachfolgende Fall zeigt.
Das Arbeitsgericht Hamburg zu XING-Kontakten
Vor gut zwei Monaten wurde eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg (Az. 29 Ga 2/13) vom 24.01.2013 bekannt, in der es ganz entschieden um die XING-Kontakte einer Angestellten ging.
Der Sachverhalt:
Ein Sachverhalt wie ihn jeder kennt: Die Angestellte A arbeitete als Beraterin bei einem Softwareunternehmen S. Sie kündigt und fängt kurz darauf bei einer Wettbewerberin an zu arbeiten. Sie hat einen XING-Account. Hier hält sie – wie üblich – Kontakt zu ehemaligen Kollegen und Geschäftsbekannten. Weniger üblich ist, dass die A den XING-Account eher zur Pflege privater und persönlicher Beziehungen nutzte. So hatte sie den Newsfeed zu Ihrem Account (automatisierte Meldungen an die Kontakte, wenn eine Änderung der Profildaten, wie etwa neue Kontakte oder ein Arbeitgeberwechsel, vorgenommen werden) ausgeschaltet und verfolgte mit Teilen der Kontakte einen regen Austausch über ihr Hobby tauchen. Einen Facebook- oder Twitter-Account hatte die A nicht. Unter Ihren Kontakten befanden sich jedoch – wie ebenfalls üblich – auch elf Kontakte, die Mitarbeiter von Kunden oder Geschäftspartnern des Softwareunternehmens S sind.
Von diesem Umstand erfährt das Softwareunternehmen S knapp sechs Monate nach dem die A Ihre Anstellung gekündigt hat. S mahnte die A wegen des aus ihrer Sicht pflichtwidrigen Verhaltens der A ab und verlangte,
A müsse die Verwendung der Kontaktdaten und sonstige auf dem Social Media Profil XING gespeicherten Informationen hinsichtlich der (im einzelnen aufgeführten) Kontakte für sich oder für andere unterlassen.
A wollte der Aufforderung nicht nachgekommen. S beantragte beim Arbeitsgericht Hamburg diesbezüglich eine einstweilige Verfügung.
S befand, es habe einen Unterlassungsanspruch gegenüber der A wegen des Verrates von Geschäftsgeheimnissen im Sinne von § 17 Abs. 2 Nr. UWG in Verbindung mit §§ 823, 1004 BGB.
Die Entscheidung:
Das Arbeitsgericht wies das Ansinnen des Softwareunternehmens in diesem konkreten Fall zurück.
Das Gericht konnte nicht erkennen, dass die A gemäß § 17 Abs. 2 Nr. UWG ein Geschäftsgeheimnis der Klägerin unbefugt verschafft oder gesichert oder ein auf diese Weise erlangtes Geschäftsgeheimnis unbefugt verwertet oder jemandem mitgeteilt hätte.
Zwar können auch nach Auffassung des Gerichts Kundendaten, und damit auch auf einem Netzwerk wie XING gespeicherte Kundendaten, ein Geschäftsgeheimnis darstellen. Schließlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein Geschäftsgeheimnis im Sinne von § 17 UWG jede im Zusammenhang mit einem Betrieb stehende Tatsache, die nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und nach dem bekundeten, auf wirtschaftlichen Interessen beruhenden Willen des Betriebsinhabers geheim gehalten werden soll. Als weiteres Kriterium tritt hinzu, dass es sich bei den Tatsachen nicht um Angaben handeln darf, die jederzeit ohne großen Aufwand aus allgemein zugänglichen Quellen erstellt werden können (versteht sich ja eigentlich von selbst, dann wäre es ja auch ein schönes Geschäftsgeheimnis).
Allerdings ist eben nun auch nicht jeder über XING gespeicherter Kontakt gleich ein Geschäftsgeheimnis. Nach Auffassung des Gerichts, das sich hier wieder auf die Rechtsprechung des BGH stützt, ist für die Bejahung eines Geschäftsgeheimnisses weiter notwendig, dass die Kontaktaufnahmen über XING, die zur Speicherung dieser Daten geführt haben, im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit erfolgt sein müssen.
Im vorliegenden Fall entstanden jedoch Teile der in Rede stehenden XING-Kontakte entweder bevor A bei S angestellt war oder bevor die Kontakte Mitarbeiter bei Kunden oder Geschäftspartner der S wurden, so dass hier schon deswegen keine Kontaktaufnahme im „Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit“ vorlag.
Hinsichtlich der übrigen Kontakte meinte das Softwareunternehmen, die A habe im Rahmen der ihr obliegenden sogenannten „sekundären Darlegungslast“ nachweisen müssen, dass es sich nicht um Kontakte im geschäftlichen Rahmen gehandelt haben müsse. (Von einer sekundären Darlegungslast spricht der Jurist, wenn zwar nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen die eine Prozesspartei einen Nachweis hinsichtlich des ihr (vermeintlich) zustehenden Rechts beibringen müsste, sich dieser Nachweis aber gerade in der Sphäre der anderen Prozesspartei befindet und es für diese auch wesentlich einfacher wäre, zu den darzulegenden Tatsachen vorzutragen. Anders ausgedrückt: A weiß wie die Kontakte zustande kamen, also muss sie auch davon erzählen, denn S weiß das ja nicht).
Dem erteilte das Gericht jedoch (zu recht) eine Absage: Es ist nicht Aufgabe der A im Rahmen einer sekundären Darlegungslast, selbst vorzutragen, wie die Kontakte zustande gekommen sind. Dem Unternehmen S ist es nicht von vornherein unzumutbar, selbst zu versuchen, sich die diesbezüglichen Informationen zu verschaffen, zum Beispiel durch Befragen der Vorgesetzten der Beklagten, zu welchen der genannten Personen die A gerade im Rahmen ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Beratertätigkeit Kontakt hatte, ggf. auch durch Befragen der Kontaktpartner der Beklagten.
Im konkreten Fall erkannte das Gericht also keine Kontaktaufnahmen im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit und damit keinen Kontakt, der sich als Geschäftsgeheimnis hätte qualifizieren lassen. Folglich bleibt damit keine kein Raum für den Verrat von Geschäftsgeheimnissen. So war der Unterlassungsanspruch der S unbegründet und die Klage ward verloren.
Was bedeutet das Urteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Es ist nun durch ein Gericht klar gestellt, was einem an sich der gesunde Menschenverstand schon sagt: Dienstliche Kontakte – auch wenn diese über eine virtuelle Plattform wie XING organisiert sind – können Geschäftsgeheimnisse darstellen und in Folge dessen kann ein Unternehmen auch einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der weiteren Verwendung solcher Kontaktdaten gegenüber einem Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben.
Dazu muss jedoch der Nachweis erbracht werden, dass es sich bei den in Rede stehenden Kontakten um Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers im Sinne des § 17 UWG handelt. Dieser Nachweis ist – wie besehen – schwierig zu führen.
Davon einmal abgesehen, sollte sich ein Arbeitgeber fragen, was es von der Durchsetzung des Unterlassungsanspruch gehabt hätte. Selbst wenn man annähme, es hätte sich vorliegend um unternehmenswesentliche Vertriebskontakte gehandelt: Mit der Durchsetzung eines Unterlassungsanspruch hätte der Arbeitnehmer diese in Rede stehende Kontaktbasis nicht mehr nutzen dürfen. Dennoch hätte der Arbeitnehmer seine Geschäftskontakte auf dem einen oder anderen Weg über seinen Arbeitsplatzwechsel informieren und mit der Bitte versehen können, den Kontakt dort doch wieder aufzunehmen. Sicher würde schlicht ein neuer Aufbau der Kontakte erfolgen. Sicher mag es Fälle geben, in denen sich die Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs für das Unternehmen „lohnt“ – aber Kosten-Nutzen sollte hier wohlfeil abgewogen werden.
Weiter sollte berücksichtigt werden, dass ein derartiger Rechtsstreit neben dem „normalen“ Kostenrisiko (im vorliegenden Fall wurde der Streitwert auf 22.000,00 EUR festgelegt), Zeit kostet und personelle Ressourcen im Unternehmen bindet.
Auf der anderen Seite sollten sich Arbeitnehmer bewusst sein, dass ein Kundenkontakt ein Geschäftsgeheimnis darstellen kann. Die Mitnahme einer kompletten Kontaktdatei (und die weitere Verwertung) ist deswegen mit äußerster Vorsicht zu genießen. § 17 UWG ist keine einfache Wettbewerbsregelung. Es handelt sich um einen Straftatbestand.
Daneben gilt für den Arbeitnehmer ganz grundsätzlich, dass er dem Arbeitgeber alles herauszugeben hat, was er im Rahmen der Geschäftsbesorgung erlangt hat. Weigert sich ein Arbeitnehmer also, seine Geschäftskontakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnis dem Arbeitgeber zu übergeben, kann dieser die Herausgabe verlange. Das wiederum ist ein Anspruch, der für Arbeitgeber wirklich interessant ist. Man stelle sich nur vor, der Vertriebsmitarbeiter V geht nach 15 Jahren, nimmt alle Kontakte mit und sein Nachfolger muss bei Null anfangen – Auswirkungen auf den Vertriebserfolg sind wohl gewiss. Oder auch: Die Social Media Kommunikation wird über Jahre mühsam und mit Erfolg auf verschiedenen Kanälen aufgebaut. Alle Accounts liegen in der Hand eines Social Media Managers. Der geht. Er geht im Groll und weigert sich die Zugänge zu den Unternehmens-Accounts herauszugeben. Ein unschönes Szenario, nicht wahr?
Warum, wieso und wann genau der Arbeitgeber die Herausgabe solcher Daten verlangen kann, das klären wir demnächst mit dem Artikel „Gut zu wissen: Wem gehören eigentlich XING-Kontakte und Social Media Accounts?“
Und da das Aufzeigen von Problemen stets nur wenig befriedigt, wird es in dem kommenden Blogbeitrag auch um Lösungsszenarien gehen, die Rechtsstreitigkeiten von vornherein vermeiden (helfen).
In diesem Sinne,
bis dahin.