Antwort auf: 5 Gründe, warum juristische Blogs keine Chance in Deutschland haben – eine Provokation

Der Kollege Henning Krieg hat auf seinem Blog http://www.kriegs-recht.de vor kurzem den Artikel „5 Gründe, warum juristische Blogs keine Chance in Deutschland haben – eine Provokation“ veröffentlicht. Henning Krieg setzt sich in diesem Artikel mit der mangelnden Relevanz von Blawgs (Law Blogs) in Deutschland auseinander.

Tatsächlich ist es so, dass laut jurablogs.de gerade einmal 391 deutschsprachige juristische Blogs das Netz zieren. [Es werden wohl noch ein paar mehr sein, meiner ist zum Beispiel auch noch nicht gelistet. ;)] Im Vergleich zu juristischen Themenvielfalt und der Anzahl der in der und mit der Juristerei Beschäftigten ist das aber auch mit einkalkulierter Dunkelziffer sehr wenig.

Bevor ich auf diesen Artikel entgegne, zunächst einmal die fünf Gründe, warum Krieg den juristischen Blogs in Deutschland keine Chance einräumt:

„1. Es überwiegen die Marketingveranstaltungen.
2. Großkanzleien engagieren sich kaum.
3. LawBlogs decken nur ein kleines Themenspektrum ab.
4. Juristische Blogs besitzen keine wissenschaftliche Relevanz.
5. Juristische Blogs steuern kaum etwas zum gesellschaftlichen Diskurs bei.“

Ebenso wie Henning Krieg finde ich, dass die Relevanz von juristischen Blogs noch zu vernachlässigen ist. Allerdings sehe ich die Gründe doch an anderer Stelle liegen.

Hier also meine (provokante?) Erwiderung:

zu 1. Es überwiegen die Marketingveranstaltungen

Das Problem ist hier meines Erachtens nicht, dass Blogs als Marketing-Instrument genutzt werden.

a. Da ein Blog davon lebt, dass jemand sein Wissen mit der Welt teilt, sind diese naturgemäß bis zu einem gewissen Grad Marketing-Instrument. Denn der Nutzer kann die erhaltene Information für nützlich (dann ruft er irgendwann den Anwalt vielleicht an) oder eben nicht nützlich halten (dann wird er sicher nie anrufen).

b. Es ist nicht zwingend problematisch, wenn ein Blog keine hohe „Dialog-Relevanz“ hat. Ein Blog ist zwar ein Instrument der Social Media Klaviatur, das heißt aber nicht, dass innerhalb dessen ein Dialog stattfinden muss. Ein extrem guter Blog kann einer sein, der stetig gelesen wird, bei dem der Nutzer einen Mehrwert verspürt und bspw. den RSS-Feed abonniert, aber bei dem der User nicht jedes Mal einen Kommentar hinterlässt oder sonst diskutiert.

Nur um ein Beispiel einer anderen Branche zu nennen: Wirft man einen näheren Blick auf die 10 erfolgreichsten Blogs für Personalmarketing so ist unschwer zu erkennen, dass dort kaum Interaktion innerhalb der Blogs über Kommentare stattfindet. Eher verknüpft man sich über gegenseitige Gastbeiträge oder Facebook-Pages oder verweist auf interessante Artikel auch bei den Kollegen. Eine Blogroll ist selbstverständlich. Vor allem geht man zurück ins echte Leben und trifft sich und die Kunden auf den Veranstaltungen, wie bspw. die Twittnights.

Viel wichtiger als die Diskussion auf einem Blog ist meines Erachtens die Weitergabe und damit auch die Diskussion der Inhalte mittels viraler Interaktion. (dazu mehr, wenn ich bei 2. und bei 5. angelangt bin.)

c. Richtig ist, dass Blogs oft nicht zielführend – weder in Richtung Marketing noch sonst irgendwie – genutzt werden. Es werden Artikel über Artikel eingestellt. aber kaum einer liest sie. Entweder weil die inhaltliche Relevanz gering ist. Oder weil zwar ein gewisser inhaltlicher Mehrwert geboten wird, aber durch die Gesamtdarstellung sofort deutlich wird, dass es sich in erster Linie um ein reines Marketing- und PR-Portal für die Kanzlei handelt und damit die für die Blogospbhäre so wichtige Authentizität (s. dazu unten) verloren geht.

Oder aber weil der Blog zwar richtig gedacht ist, aber kaum aufgefunden wird. Einige Kollegen bloggen, ohne zu wissen, wie bspw. ein Google Pagerank generiert wird (Gestehe. Das weiß niemand wirklich außer Larry Page… ;)) oder die Viral-Effekte von Social Media eigentlich entstehen. Auf diese Weise einen Blog ins Leben zurufen, macht in etwa soviel Sinn, wie mitten in der Großstadt das Kanzleischild an die Tür zu nageln und darauf zu hoffen, dass jemand als Mandant vorbeikommt.

Hinzu kommt, dass gerade Kollegen den Austausch – sprich die Verlinkung – mit anderen scheuen aus lauter Angst, dem Kollegen ein Mandat zuzuschustern. So funktioniert aber das Web 2.0 aber nicht.

zu 2. Großkanzleien engagieren sich kaum
Es stimmt. Und es verwundert. Großkanzleien haben ebenso wie sonstige Großunternehmen ganze Research-Abteilungen. Hier sitzen ebenso qualifizierte Volljuristen, die wunderbar Blogs schreiben und auch im Übrigen eine Social Media Präsenz aufbauen könnten. In sonstigen Großunternehmen heißen solche Menschen dann „Social Media Manager“.

Aber Großkanzleien sind in der Regel partnerschaftlich nach Dezernaten organisiert. Jede Abteilung ist quasi selbstständig und muss eigene, ordentliche Zahlen auf den Tisch bringen. Das ist insoweit für das Blogging contra-produktiv als immer noch viele Partner in Führungspositionen sind, die das Internet „für so eine Sache für junge Leute halten“. Und des Weiteren lässt sich über einen Blog und anderes Social Media nicht unmittelbar ein Revenue ablesen. Die Partner haben zwar gelernt, dass Marketing etwas kostet und wichtig ist. Aber das Blogging ist in konservativen Kreisen schwer an den Partner zu bringen. Schließlich ist es weder so anerkannt wie ein Artikel in der NJW oder K&R noch handelt es sich um buntes Marketing-Papier, bei dem der „Werbefuzzi“ was von Zielgruppen und Aufmerksamkeitsstatistiken erzählt.

Ich frage mich jedoch, ob es für die von Henning Krieg aufgestellten Punkte (juristische Relevanz und gesellschaftliche Dsikurse) wirklich wichtig ist, dass Großkanzleien bloggen.

Ich möchte das aus den folgenden Gründen verneinen:

a. Ein Blog lebt von seiner Authentizität. (Schönen Gruß an Jo vom Recrutainment-Blog mit seinem Lieblingswort. ;)) Ein Blog ist immer eng mit den dort bloggenden Personen und ihren Meinungen verbunden. Der Blog einer Großkanzlei müsste den gleichen Drahtseilakt wie die Blogs von anderen Großunternehmen aufführen: Sie sind einerseits in PR- und Marketingstrategien eingebunden und sollen andererseits authentisch bleiben – ohne je die CI zu verletzen. Wenn es gut gemacht ist, dann haben die Social Media Mitarbeiter relativ freie Hand und müssen sich „nur“ an ausgegebene Social Media Guidelines halten.

Gerade in Grokanzleien – so mein Eindruck – wird dem Personal hinsichtlich PR und Marketing doch relativ wenig und damit eben nicht die freie Hand zugetraut. Ein Blog (und sonstiges Social Media) bedeutet immer auch Kontrollverlust. Ich sehe gerade vor dem Hintergrund der doch konservativen Gesamteinstellung nicht, dass sich das schnell ändern wird, d.h. dass jeweils ein paar Kollegen das Bloggen als sinnvolle Unternehmenskommunikation während der Arbeitszeit zugestanden wird.

Eine ruhmvolle Ausnahme mag hier der Blog Online.Spiele.Recht gamelaw insights von Osborne Clarke sein. Hier hat es zumindest den starken Anschein, dass es sich nicht um ein Privatprojekt neben der Arbeit handelt.

b. Wird wirklich etwas vermisst, wenn Großkanzleien sich mit dem Blog zurückhalten? Hervorragende Blogs gibt es von kleineren Kanzleien und Einzelanwälten. Auch in Großkanzleien würden im Ergebnis einige wenige mit dem Blog – und nicht der ganze Konzern – beschäftigt sein.

Sicher würde gerade in den Großkanzleien die Manpower vorherrschen, einen Blog für andere Juristen mit hoher juristischer Expertise aufzubauen, eben weil ein zwei Kollegen exklusiv dafür abgestellt werden könnten. Aber: Es gibt doch oft schon der eine Kollege seine Ergebnisse nicht ins Nachbarzimmer weiter, weil er nicht will, dass der andere später seine Lorbeeren einheimst. (Oder viel kürzer für einen Schriftsatz benötigt als er selbst). Bevor sich diese „Neid-Kultur“ unter Juristen nicht ändert, wird eine juristisch hochqualifizierte Blogosphäre in Deutschland mE wirklich schwierig.

zu 3. LawBlogs decken nur ein kleines Themenspektrum ab
Ich denke, dass liegt schlicht an der Zeit. Die Juristen hängen mit neuen Entwicklungen gemeinhin etwas hinterher. Dass es im Bereich Internet, IT & Medien schon gute Blogs gibt, sich die anderen Fachbereiche damit aber noch schwer tun, bzw. einige Fachbereiche noch gar nicht (oder nicht erkennbar) im Netz vertreten sind, liegt meines Erachtens noch in der Natur der Sache. Die Medienrechtler sind am Internet und damit auch am Blog per se qua Profession näher dran und dementsprechend auch eher bereit neue Kommunikationsmittel für sich selbst zu nutzen.

Einem allgemeinen Verwaltungsrechtlicher hingegen mag sich der Sinn und Zweck schlicht noch nicht erschließen. Seine Zielgruppe sind andere Verwaltungsrechtler. Mit denen kommuniziert er über Fachtagungen und Fachzeitschriften. Das Internet in Form von Blogs ist relativ weit weg. (Auch wenn er es jeden Tag zum Research benutzt!). Die potentiell Interessierten begreifen einen Blog also noch nicht als Informationsquelle. Das wird sich aber ändern, sobald ein vernünftiger Blog hierzu entsteht und sich daraufhin ein anderer ebenfalls berufen fühlt, dieses Medium zur Kommunikation unter Gleichgesinnten zu nutzen.

Diese These gilt mE noch für viele Rechtsbereiche.

4. Juristische Blogs besitzen keine juristische Relevanz
Ich denke, diese These geht vom falschen Ausgangspunkt aus. Die erste Frage lautet doch: Wer soll meine Zielgruppe sein? Eher Unternehmer (oder sonstige künftige Mandanten), die sich über neueste Rechtsentwicklungen informieren wollen und denen bestimmte Rechtsproblematiken einfach in das Bewusstsein gerufen werden sollen? (dazu gleich mehr unter 5.) Oder aber – man erinnere nur an den imaginären Verwaltungsrechtler von eben – soll der Blog eine Plattform zur Anregung für den Austausch mit Kollegen sein? Beide Zielgruppen kann man nicht zugleich bedienen: Die Mandaten verstehen das Juristendeutsch nicht – und wollen es auch nicht. Den Juristen ist ein Blog, der sich an Unternehmer/Mandanten richtet, jedoch nicht wissenschaftlich, bzw. differenziert, genug.

Ich denke ein Blog, der sich an den Mandanten richtet, hat genauso seine Berechtigung, wie der, der sich an andere Juristen wendet. Mag ersterer keine juristische Relevanz im wissenschaftlichen Sinne aufweisen, so bietet er doch Mehrwert für die Mandanten/User/Unternehmer – wie auch immer man sie nennen mag. Und im besten Falle trägt eben gerade ein solcher zu einem gesellschaftlichen Diskurs bei. (s. dazu 5.)

Ausschließlich juristische Blogs sind aus den schon genannten Gründen derzeit einfach noch selten. Ich glaube aber, dass sich das ändern wird. Immer mehr junge Leute, die sich nur noch als digital residents bezeichnen können, werden auch über das Internet wissenschaftlich publizieren und mit anderen Kollegen in Austausch treten wollen. Deswegen ist es für mich nur eine Frage der Zeit, bis eine größere Anzahl von Kollegen Ihre Fachartikel nicht mehr gegen Geld exklusiv in Fachmagazinen veröffentlichen, sondern sie dort kostenlos veröffentlichen lassen, um sie selbst virtuell verbreiten und über Viral-Effekte einer breiteren juristischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. [Vermutlich werden sich hier die Fachzeitschriften-Verlage langfristig um neue Konzepte bemühen müssen.]

zu 5. Juristische Blogs steuern kaum etwas zum gesellschaftlichen Diskurs bei
Dieser These möchte ich entschieden entgegentreten. Gerade die „nicht-wissenschaftlichen“ Blogs tragen mehr und mehr zum gesellschaftlichen Diskurs bei. Wenn ein Blog es schafft, potentielle Rechtsuchende für Rechtsfragen zu sensibilisieren, so dass diese mit ihren (!) internen und externen Kollegen rechtliche Probleme thematisieren und viral verbreiten, gleich ob per Twitter, Facebook, Intranet oder persönlich, dann bewirkt dies langfristig einen gesellschaftlichen Diskurs. Sinn und Zweck von Social Media – wozu Blogs zu zählen sind – ist schließlich genau diese virale Verbreitung. Die ist nicht zielgenau zu steuern, aber gerade darin liegt auch der Charme und Chance.  Meines Erachtens kann solch ein Blog auf diese Weise wesentlich mehr als ein „wissenschaftlicher“ Blog, in dem es vorwiegend um den Austausch zwischen Juristen geht, zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen. Denn nur wenn eine Diskussion in der Gesellschaft, d.h. den Menschen, die dieses Recht tatsächlich leben müssen, ankommt, dann verändert sich etwas. Diese Menschen, die es betrifft, werden am langen Ende dafür streiten, dass bespw.eine Gesetzesänderung erfolgt (auch wenn sie hierfür wiederum Lobbyisten und vor allem Juristen brauchen. 😉 )

Die letzten Worte
Ich war nicht schnell genug. Nicht nur dass andere wie Martin Neldner, Detlef Burhoff, „Wirtschaft und Politik … logisch“,und der Telemedicus schon fleißig geantwortet haben. Henning Krieg hat mittlerweile eine eigene Replik verfasst „5 Gründe, warum juristische Blogs eine Chance haben, eine Replik„. Ich habe sie eben erst gelesen, nach dem dieser Artikel so gut wie fertig gestellt war. Und ich stelle fest, wir liegen dann doch gar nicht so weit auseinander.

Da bleibt nur zu sagen: Auf dass mehr Juristen zu Tastatur und Blog-Software greifen! Auf dass durch das Web 2.0 mehr unter, über und mit Juristen diskutiert wird!

Last but not least, der Kollege Johannes Zöttl hat im Kartellblog die persönliche Übersicht zum Thema „Was es über juristische Blogs so zu lesen gibt (TBC)“ zusammengetragen.